Da ich bisher alle Bücher des Autors gelesen habe, war dieser Band ein (weiteres) noch fehlendes Puzzleteil einer ganzen biographischen Familien-Saga. Schonungslos ehrlich, perspektivenreich und mehrschichtig erzählt Edouard Louis den beschwerlichen Weg seiner Mutter heraus aus patriarchalisch systemisch-gewaltvollen Strukturen hinein in ein ‘freieres’ (?), ‘glücklichere’ (?), selbst-bestimmtere (?) Existenz. Erfreulicherweise keine emanzipatorische ‘Erfolgstory’ à la Hollywood, dafür eine behutsame, genaue Beobachtung und Beschreibung vieler kleinen Veränderungen und Umständen; Keine sentimentale Geschichte einer Frau, die ‘ihren Weg’ geht, sondern ein gelungener Versuch einer akribischen und persönlichen - nicht weniger politischen’ und gleichzeitiger zärtlichen Schilderung eines Werdegangs in kleinen (und gehaltvollen) Anekdoten. Das französische Original trifft es besser als der deutsche Titel : “Combats et métamorphoses d’une femme”, denn diese ‘Verwandlung’ geht nicht ohne (viele kleine und grössere) Kämpfe vor sich.
Der Autor Edouard Louis hat sich für eine Lesung in meiner Stadt angekündigt. Als ich davon erfuhr, musste ich das Buch vorher gelesen haben, was bei knapp 100 Seiten nicht lange dauerte….
Wer die Soziologen Pierre Bourdieu und Didier Eribon kennt und mag, kommt nicht an Edouard Louis vorbei; Dieses Buch mag wohl nicht das beste des Autors (viel zu dünn/kurz) sein, dafür ist es ein wertvolle Erweiterung sozialer/soziologischer Beobachtungen rund um die Normmächtigkeit von Geschlecht, Klasse, Lebensumständen/Rahmenbedingungen, Stadt/Land, Scham (vor der Scham) u.a. - und nicht ohne Humor und gelegentlichem charmantem Augenzwinkern. Auf alle Fälle sehr ‘sympa’ (und sehr bescheiden) dieser junge Autor - auch wie er bei der Lesung auf mich gewirkt hat. Respekt an seine mutige Frau Mama.
Abschliessen das nachwirkende Kredo der Lesung: “Normen sind Fiktionen.” Macht was draus 😉