Die Protagonistin von Kristin Hannahs Roman «Die vier Winde» ist Elsa, eine junge Texanerin aus gutem Hause aber ohne jegliches Selbstbewusstsein, die sich selbst und ihre an ihr desinteressierte Familie überrascht und Mitte 20 von Raf, einem jungen Italoamerikaner, schwanger wird. Elsas Familie verstösst sie umgehend und gezwungenermassen heiratet sie Raf. Schnell wird klar, dass das junge Ehepaar völlig unterschiedliche Ansprüche an das Leben stellt. Ihr Mann, ein Träumer, will die Welt sehen, während Elsa einfach nur froh ist, endlich gesehen und akzeptiert zu werden (hauptsächlich von ihren streng gläubigen, tüchtigen Schwiegereltern). Als dann Teile der Great Plains von einer schrecklichen Klimakatastrophe heimgesucht werden, überlässt Raf seine Familie ihrem Schicksal und macht sich aus dem Staub. Elsa muss ab sofort täglich um das Leben ihrer zurückgelassenen Familie kämpfen.
In den 1930er Jahren ist die Weltwirtschaftskrise plötzlich nicht mehr die einzige Herausforderung der USA. Eine langanhaltende Dürreperiode sorgt für den Ausfall der Ernten, die extremen Staubstürme treiben die Leute in ihre Häuser, sorgen für ‘Staublungen’ und zwingen viele Farmer, alles was sie aufgebaut haben hinter sich zu lassen und ihr Glück als Wanderarbeiter in Kalifornien zu suchen. Dort werden sie von den eigenen Landsleuten verachtet und ausgebeutet.
Die Länge des Buches lässt einen vermuten, dass man durchgehend eine ereignisreiche Reise mit dieser kleinen Familie und ihrer Flucht aus dem ausgetrockneten Texas miterleben wird, doch das war offensichtlich nicht die Idee dahinter. Man verweilt fast bis zur Hälfte der Lektüre auf der Farm und danach das nächste Jahr im San Joaquin Valley, im Süden Kaliforniens. Die ganze Zeit durch erfährt man das Leid von Elsa. Entweder leidet sie durch ihre Familie und ihrem nicht vorhandenen Selbstbewusstsein, dann leidet sie unter der lieblosen Ehe mit Raf und der schmollenden Tochter Loreda, dann leidet man mit ihr während der Staubstürme, der Sorge über mangelnde Nahrungsmittel und der Erkrankung des jüngeren Sohns Anthony und am Schluss leidet man während der verzweifelten Lage Elsas als Wanderarbeiterin im San Joaquin Valley.
Das Problem des Romans ist in meinen Augen die Unglaubwürdigkeit der Protagonistin. Damit ist nicht ihr Überlebenskampf gemeint, der durchaus nachvollziehbar erscheint, sondern die andauernde Erniedrigung ihres eigenen Charakters. Sie sei nicht stark, sie sei nicht hübsch, sie sei nichts Besonderes. Die ganze Geschichte widerspricht ihrer eigenen Auffassung, ihre Vertrauenspersonen versuchen sie zu bestärken und die einzige, welche Elsas Selbstzweifel wohl füttern könnte, ist Loreda. Eine Teenagerin. In der Pubertät. Und meistens denkt Loreda auch nur schlecht von ihrer Mutter, weil sie kein devotes Leben wie diese führen möchte.
Der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche gelingt zwar die Beschreibung der verzweifelten Lage, allerdings bleiben vor allem emotionale Gedanken oder Gespräche auf der Strecke. Es mag auf Englisch flüssiger wirken, aber in der deutschen Fassung wird man zwischendurch relativ abrupt aus dem Lesefluss geworfen.
Persönlich fand ich auch die Kinder wenig überzeugend. Während bei Loreda, 13, manchmal gewisse Reaktionen durch die extremen Zustände als ein zu schnelles Erwachsenwerden interpretiert werden können, kauft man ihrem jüngeren Bruder Anthony, 8, manche Äusserungen überhaupt nicht ab. Die Geschichte wird ab dem Zeitsprung 1921 zu 1934 abwechselnd von Elsa und Loreda erzählt. Zum Teil realisierte man den Wechsel nicht einmal und begreift zu spät, dass nun nicht mehr Elsa, sondern Loreda die Erzählerin ist. Zumindest passierte mir dies einige Male, wenn Elsas Selbstmitleid nicht von Anfang betont wurde oder Loreda nicht durch ihre Aufmüpfigkeit auffiel.
Der Roman besticht durch die schmerzliche Erlebniswelt und die Verzweiflung der Wanderarbeiter. Die Ausbeutung der eigenen Landsleute und die verachtende Haltung gegen die eigenen hungernden Landwirte zeigen ein weiteres Mal deutlich, dass keine gepredigte Nächstenliebe von noch so ehrlichen Christen existiert. Die einzigen, die tatsächlich helfen, haben Leid am eigenen Leib erfahren. Auch die Einarbeitung der Hilfskräfte für die arbeitslosen Familien, vor allem die kommunistische Partei der USA, ist eine sehr interessante Richtung. Schade ist nur, dass die Figuren eher für Frust als Leselust sorgen. Entweder überzeugen sie nicht in ihren Handlungen oder der jeweilige Erzähler sendet gemischte Signale über ihre Entwicklung. Dann erlebt man über eine längere Phase die Veränderung einer Figur und im nächsten Moment verwirft sie alles wieder und erinnert an den ungeformten Charakter zu Beginn der Geschichte.
In meinen Augen beinhaltet der Roman eine flüssig-lesbare Geschichte für zwischendurch, welcher die Zielgruppe ‘Frauen’ nicht deutlicher anpeilen könnte. Er streut zwar historische Begebenheiten ein, betont aber die Stärke der Frau, wenn sie sich vollkommen auf ihre Familie konzentriert, ihr komplettes Leben und ihre Person dafür opfert und auch wenn sie nicht an sich zu glauben scheint, fühlen sich trotzdem alle Männer, für die sie insgeheim schwärmt, von ihr angezogen und entscheiden sich für sie. Mir persönlich fehlt die Tiefe und die Geschichte hat sich auf den falschen Charakter konzentriert. Es kann noch so gut recherchiert sein, wenn man sich am Schluss mit klassischen und konventionellen Familien- und Liebesroman-Motiven herumschlägt, dann bleibt das Lesevergnügen einfach auf der Strecke.