Eine Hymne ans Leben, die Höhen und Tiefen, Probleme, Erfolge und Misserfolge. Auf wenigen hundert Seiten wird der Leser zum Komplizen der beiden Protagonistinnen Sally und Liss. Der Autor versteht es, in die Psyche der beiden einzutauchen, mit ihnen zu leiden und sich zu freuen, auf- und durchzuatmen. Die Natur, keine Regeln, Freiheit, Sich-selbst-Sein die Botschaft.
Ich konnte mich sowohl mit Liss (altersmässig) wie auch mit Sally (mental) identifizieren. Dieser “Road Trip” aufs Land war wie Kurzferien, hat mir gut getan. Die Felder, die Obstbäume, das unkomplizierte, gemächliche Landleben, wo man mit den Hühnern schlafen geht und aufsteht, zog mich mit. Nur der Höhepunkt, wo Sally quasi fast genesen, Liss dagegen fast abstürzt und - richtiges Drama! -, sieht für mich gestellt aus; ich kann mir nicht vorstellen, dass 2 HeldInnen plötzlich die Rollen tauschen, ihre Charaktere sich quasi um 180° drehen. Ein Kunstgriff, zwar ein gelungener, aber nicht ganz nachvollziehbar.
Das Buch wirkt eine Hommage an den Frank Capra-Klassiker von 1946 mit James Stewart als dem lebensmüden Helden. Dort lässt er sein Leben Revue passieren und realisiert im letzten Augenblick, dass es sich doch lohnt zu leben. Ganz so dramatisch verläuft die Handlung im Film nicht, dafür im Buch “Alte Sorten” umso mehr.
Was mit “Alte Sorten” gemeint ist? Jeder sieht es anders. Man kann vom “guten Kern im Menschen” ausgehen, also die “gute alte Schule” (Traditionen), oder vom wenig beachteten, nicht besonders attraktiven, dafür aber umso schmackhafteren, nährhaften Obst (Birnen), aus dem vieles entstehen kann wie etwa Schnaps. Und last but not least: “Birne” kann auch für das Weibliche (Figurtyp) stehen, oder dafür, “etwas in der Birne haben”. Wie auch immer interpretierbar, ich wich als Dritte im Bunde nicht von Liss’ und Sallys Seite.
Eine Ode an das Leben, die schönen und weniger schönen Seiten und das Unverständnis der Aussenwelt gegenüber Menschen, die ihren eigenen Weg gehen, quasi zum Aussenseiter werden damit, weil sie gegen den Strom schwimmen, ihren eigenen Kopf haben und damit anecken.
Ein stilles Buch, bei dem man den Hafer stechen spürte. Die Abstecher in Liss’ Jugend, die Enttäuschung ihrer Ehe, die Lieblosigkeit ihrer Männer (Vater, Ehemann, Sohn) , machten sie zwar stark, aber durch die Suche nach Sally bei der Polizei kam die Vergangenheit wieder hoch, während Sally sich insgeheim der Zukunft stellt.
Mir wurde das Buch empfohlen, und ich fragte mich, warum. Beim Lesen aber kamen die Antworten: “Wenn alles aussichtslos scheint, dann gibt es immer noch einen Ausweg.” “Du bist, wie du bist, einmalig, vielleicht nicht zum Anbeissen, aber aus Fleisch und Blut.” “Nach einem Tief kommt ein Hoch und vom Regen zwar in die Traufe, aber dann auch wieder auf die Sonnenseite.” Mit diesem Buch kommt man über Liebeskummer oder eine Depression hinweg. Also kein schlechter Tipp!