In Tamar Noorts zweitem Roman, der auf Die Ewigkeit ist ein guter Ort folgt, geht es vordergründig um Schlafstörungen, ein Schlaflabor und zwei Frauen, die sich nachts begegnen. Aber unter dieser Oberfläche liegt eine tiefere, leise Frage: Was, wenn im Leben alles funktioniert – und trotzdem etwas fehlt?
Sina, eine Lehrerin, lebt das, was viele als ein „geregeltes Leben“ bezeichnen würden: Familie, Kinder, Haus, Beruf. Alles läuft, alles ist da. Und doch entgleitet ihr das Leben – nicht plötzlich, sondern schleichend: über Nächte ohne Schlaf, über Erschöpfung, über eine innere Leere, die sich nicht benennen lässt.
Janis arbeitet nachts im Schlaflabor, schläft am Tag, lebt allein. Sie hat sich eingerichtet in einem stillen Dazwischen. Erst als Sina auftaucht, wird in ihr etwas wach: eine Sehnsucht, ein anderes Leben, eine andere Nähe. Zwischen den beiden entsteht ein feines Band – ein Erkennen, ein Wissen, vielleicht eine Freundschaft, vielleicht mehr. Die Annäherung ist tastend, zurückweichend, dann wieder suchend. Und irgendwann sind sie wieder da – nebeneinander, auf dem Weg, ein altes Bild abzuholen, das Sina einmal gemalt hat.
Was dieses Buch zeigt, ist: Auch in einer Gesellschaft, in der viele Menschen (vordergründig) alles haben – Frieden, soziale Absicherung, Beziehungen, Arbeit –, kann etwas fehlen. Etwas Existenzielles. Die Frage: Ist das wirklich mein Leben? Oder nur das, was ich übernommen habe?
Noort zeigt das an einer weiblichen Perspektive, aber die Frage betrifft alle Menschen – unabhängig vom Geschlecht. Im Roman wird deutlich, dass auch Männer (wie Sinas Mann) in Funktionsrollen gefangen sind: Karriere, Körperoptimierung, Selbstdisziplin – alles läuft, aber innerlich ist da oft nicht mehr viel.
Die Sprache ist klar, schlicht, ohne Metaphern, ohne große Poesie – aber sie passt. Die Kapitel wechseln zwischen Sina und Janis. Nur Janis spricht in der Ich-Form, was dem Text einen rhythmischen Wechsel zwischen Außen- und Innenwahrnehmung gibt.
Und ja – am Ende gibt es keine dramatische Wendung. Aber es gibt eine Veränderung: Sina und Janis holen gemeinsam etwas aus der Vergangenheit zurück – ein Bild, das vielleicht auch für eine andere Version ihres Lebens steht. Und man spürt: Hier beginnt etwas Neues. Vielleicht nicht laut, aber spürbar. Und die Frage, die bleibt, ist nicht weniger stark:
Wofür lebe ich eigentlich – und für wen?