Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Buch über zwei Künstlerinnen in den 1920er- und 60er-Jahren so fesseln könnte. Weder Malerei noch Kunstgeschichte interessieren mich besonders. Aber was Anne Stern hier gelingt, ist etwas Seltenes: Sie nimmt mich mit in eine Welt, die mir fremd ist, und lässt mich so tief in ihr eintauchen, dass ich gar nicht mehr heraus will.
Meine Freundin Lotte erzählt die Geschichte der realen Malerin Lotte Laserstein und ihres Lieblingsmodells Traute Rose – zwei Frauen, deren Beziehung Jahrzehnte überdauert. Das Buch springt zwischen Berlin 1921 und Kalmar 1961, und mit jedem Kapitel entfaltet sich mehr von dem, was zwischen diesen beiden Frauen unausgesprochen geblieben ist. Und genau das ist es, was mich am meisten berührt hat: Diese tiefe Verbindung, die niemals ausgesprochen wird – und doch in jeder Geste, jedem Blick, jedem inneren Monolog spürbar ist.
Man merkt schnell: Das ist nicht einfach nur eine Freundschaft. Es ist Liebe. Aber eine Liebe, die nie benannt wird, nie gelebt werden darf. Und so sprechen sie über alles – über Kunst, über Politik, über Erinnerung –, aber nie über das, was sie wirklich fühlen. Ich habe mich beim Lesen oft dabei ertappt, dass ich dachte: „Sag es ihr doch. Frag sie doch. Trau dich.“ Aber sie tun es nicht. Und gerade das macht dieses Buch so traurig und so wahr.
Anne Sterns Sprache ist ruhig, fast zurückhaltend – sie erinnert an eine vergangene Zeit. Aber sie ist nie altmodisch. Im Gegenteil: Ihre Sätze sind klar, präzise und voller Atmosphäre. Man ist sofort dort – im Atelier in Berlin, im Café in den Zwanzigern, im schwedischen Sommerlicht der sechziger Jahre. Und obwohl das Buch nicht auf Spannung im klassischen Sinn baut, war ich vollkommen gefesselt. Ich wollte wissen, ob sie es irgendwann schaffen, sich wirklich zu begegnen.
Was mich besonders überrascht hat: Obwohl mich die Malerei eigentlich nicht sehr interessiert, war ich fasziniert. Ich habe sogar Bilder von Lotte Laserstein gegoogelt – und plötzlich verstand ich, wie sehr dieses Buch wirkt. Es verändert den Blick. Auf Kunst. Auf Freundschaft. Auf das, was zwischen Menschen möglich – oder eben verpasst – ist.
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