Christina Fonthes erzählt in ihrem Roman die Geschichte von Mira und ihrer Nichte Bijoux, die beide zwischen Kinshasa und London leben. Mich hat beeindruckt, wie die Autorin die psychologischen Entwicklungen der Figuren sichtbar macht: Aus der lebenshungrigen Mira wird nach dem Tod ihres Verlobten an AIDS in den 1980er-Jahren die verschlossene Tante Mireille. Der Teil des Buches macht eindringlich deutlich, wie falsch damals über HIV gesprochen wurde. Viele glaubten, das Virus könne durch bloßes Zusammensein, Berührungen oder gemeinsames Essen übertragen werden. Tatsächlich ist eine Ansteckung mit HIV nur über ganz bestimmte Wege möglich – durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, Blut-zu-Blut-Kontakt oder die gemeinsame Nutzung von Spritzen. Obwohl Mira HIV-negativ bleibt, wird sie wie eine Gefährdung behandelt und verliert ihr soziales Umfeld. Die AIDS-Krise erscheint so nicht nur als Krankheit, sondern als Katalysator für Isolation, Scham und das Abbrechen von Bindungen.
Bijoux, eine Generation jünger, wächst nach den Unruhen in Kinshasa in London auf. Heimlich verliebt sie sich in eine Frau und sucht in der queeren Community einen Ort, an dem sie sie selbst sein kann. Dabei erfährt sie, wie schwer es ist, zugleich schwarz und queer zu sein – und mit dem Druck von Familie und Religion zu leben. Religiöser Fanatismus tritt als Machtinstrument auf, das Homosexualität stigmatisiert und unterdrückt.
Das Buch vermittelt zugleich viel über kongolesische Identität. Rückblenden lassen das Leben in Kinshasa lebendig werden, politische Unruhen und der Kongo-Krieg fließen ein. Diese historischen Hintergründe zeigen, wie eng persönliche Schicksale mit gesellschaftlichen Umbrüchen verbunden sind. Auch die eingestreuten kongolesischen Ausdrücke verstärken dieses Gefühl – sie haben mich in die Geschichte hineingezogen und mir zugleich bewusst gemacht, aus einer weißen, privilegierten Perspektive zu lesen.
Die vielen Perspektiv- und Zeitwechsel sind herausfordernd, verdeutlichen aber die Zerrissenheit zwischen den Generationen und die Weitergabe von Traumata. Die Figuren bleiben dabei nahbar, emotional eindringlich und frei von Kitsch.
Für mich war das Buch stark, weil es nicht nur eine besondere, redemptive Familiengeschichte erzählt, sondern auch queere Erfahrungen sichtbar macht, die in der Literatur noch viel zu selten vorkommen – gerade aus der Perspektive einer schwarzen Frau. Es zeigt auch, wie sehr Schweigen Verletzungen weiterträgt, und wie wichtig es ist, eine Sprache dafür zu finden. Ein Roman, der von Verlust erzählt, aber auch sehr viel von Freiheit.
Ein bewegendes Debüt, das nicht nur die Geschichte zweier Frauen nachzeichnet, sondern auch die Erfahrung einer ganzen Generation schwarzer, queerer Diaspora-Frauen literarisch hörbar macht.
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