Dieses Buch hat mich tief bewegt. Meral Kureyshi erzählt in „Im Meer waren wir nie“ von einer Protagonistin, die zwischen Sprachen, Kulturen und Beziehungen lebt – und dabei oft auf sich allein gestellt ist bzw. allein gelassen wird.
Besonders beschäftigt hat mich die Freundschaft zu Sophie. Sie wirkt einseitig, fast ausbeuterisch und übergriffig. Die Protagonistin kümmert sich um deren Sohn und deren Grossmutter, wird dafür aber nicht wertgeschätzt. Im Gegenteil: Sophie belächelt sie und nimmt ihre Fürsorge als selbstverständlich hin. Diese Dynamik hat mich sehr beschäftigt. Trotz der örtlichen Nähe zu Sophie bleibt die Protagonistin einsam. Die Familiendynamik in Sophies Umgebung findet auch Eingang in den Roman. Dabei werden Klischees von (schweizerischen) Familien bestätigt, die z.B. eine ausländische Putzfrau nicht begrüssen. Das hat etwas Licht ins Dunkel gebracht, weshalb die Familie derart ,,selbstverständlich’' mit der Protagonistin umgeht. Dennoch hat mich das Buch stellenweise so beschäftigt, dass ich Pausen einlegen musste. Der Umgang von Sophie mit der Protagonistin war manchmal beinahe unerträglich. Am liebsten hätte ich der Protagonistin einen Brief geschrieben und sie gebeten, aus dieser Freundschaft (oder was das ist) auszubrechen.
Zwei Filme, die im Roman erwähnt werden – Before Sunrise und Das grüne Leuchten – spiegeln sich subtil in der Erzählung wider. Die Protagonistin ist in gewisser Weise sowohl Céline als auch Delphine: nachdenklich, suchend, zwischen Orten und Menschen.
Ein Satz hat mich besonders getroffen: Die Protagonistin sagt, sie sei in keiner Sprache richtig zu Hause. Dieses Gefühl zieht sich durch den Text. Dies in der Sprachmelodie, in den Bildern, in der Sehnsucht. Es ist ein stilles, poetisches Buch, das lange nachhallt.