Lange habe ich mir vorgenommen, Mareike Fallwickls Roman «Die Wut, die bleibt» zu lesen, nun war es endlich soweit. Begeistert hatte mich zuvor «Und alle so still», in dem Frauen sich in stillem Protest in Gruppen auf die Strassen/Gehwege/… und somit auch ihre ganze unbezahlte Arbeit niederlegen. Auch in «Die Wut, die bleibt» geht es um feministische Themen, geht es um das System, das Frauen strukturell benachteiligt. Fallwickls Figur Sarah stellt im Verlauf des Romans fest, dass ihr die Sprache fehlt, um diese Ungerechtigkeiten als solche klar zu benennen. Dies ändert Fallwickl mit ihrem Roman. Die Ausgangslage: eine Mutter stürzt sich beim Abendessen vom Balkon. Zurück bleiben u.a. ihre beste Freundin Sarah, die einspringt, um die Mutter-Lücke zu füllen, und ihre 15-jährige Tochter, Lola. Während Sarah automatisch in traditionelle Rollenmuster rutscht und hilflos auf die Erschöpfung zusteuert, saugt Lola feministische Theorien nicht nur auf, sondern sucht die Diskussion, den Konflikt und die Möglichkeit, das Gelernte zu leben. Der starke Kontrast zwischen den beiden Figuren zeigt uns auf, woran es anzuknüpfen, worüber es zu diskutieren gälte und warum dies gleichzeitig teilweise so unfassbar schwer fällt.
Fallwickl schreibt als allwissende Erzählerin abwechselnd aus Sicht ihrer beiden Protagonistinnen. Sarahs Kapitelüberschriften verweisen oft auf ihre Arbeit als Schriftstellerin, Lolas – zumeist auf Englisch, in Kleinbuchstaben – sind kämpferisch («takedown», «attack» etc.). Lola gendert, nutzt englische Begriffe, lebt auch sprachlich ihr feministisches Ideal. Dabei bleibt sie nicht unumstritten und auch dies gibt Anlass für Diskussionen.
«Die Wut, die bleibt» ist einerseits fest in der Pandemie verankert. Andererseits sind die zugrundeliegenden Themen davon zeitlich losgelöst, sie wurden lediglich durch die Pandemie verstärkt. Die Lektüre ist über weite Strecken emotional herausfordernd (Trauer, Wut, Scham, Hilflosigkeit), gleichzeitig schenkt sie Hoffnung, macht uns Mut und gibt uns die Worte, um Ungleichgewichte, Ungerechtigkeiten, Diskriminierungen in Worte zu fassen. Für mich reiht sich «Die Wut, die bleibt» ein in meinen ganz persönlichen feministischen Kanon.