Psychologin Nicola Jane Hobbs legt mit «Die entspannte Frau» ein recht umfassendes Sachbuch vor. Sie betrachtet mit uns die verschiedenen Ursachen für mangelnde Ruhe, Entspannung und Energie, sowohl allgemeiner, struktureller als auch spezifisch weiblicher Natur. Gängige Definitionen von Leistung und Erfolg, Weiblichkeit, Verteilung von Rollen, Mental Load und Care-Arbeit kommen so auf den Prüfstand, ebenso unsere Beziehungs- und Verhaltensmuster und zugrundeliegenden Glaubenssätze. Ihre Ausführungen unterbricht sie dabei immer wieder mit Abschnitten und Fragen zum Innehalten, Nachdenken und Reflektieren. So erarbeiten wir uns Schritt für Schritt eine persönliche Werkzeugkiste zu mehr Entspannung: mental, physiologisch und in Form gestärkter Beziehungen/Nähe. Dafür sind am Ende des Buchs zwei Seiten für Notizen reserviert. Allgemein empfiehlt sich die Lektüre mit Lineal, Stift, Textmarker, Notizbuch in Griffweite ;-) Denn Hobbs gibt uns auch zahlreiche und vielfältige Inputs, wie wir unsere Energietanks im Alltag wieder füllen können. Sie lädt uns dazu ein herauszufinden, welche davon für uns am stimmigsten sind.
Ihre Vorschläge und Gedanken klingen machbar, sie formuliert positiv und ermutigend. Zudem hat mich beeindruckt, wie umfassend sie das Thema behandelt und auf wie viele Psycholog*innen, Philosoph*innen, Aktivistinnen und Patientinnen sie sich bezieht.
Gleichzeitig habe ich das Buch auch immer wieder kritisch gelesen. Ja, es klingt machbar und so leicht – aber es blendet die notwendige Anstrengung aus. Die neuen Gewohnheiten zu etablieren erfordert Zeit und Nachsicht, wenn es mal nicht so klappt. Strukturell wird sich gleichzeitig wenig verändern oder zumindest nicht von allein und nicht unbedingt frei von Konflikten/Diskussionen. Hobbs geht davon aus, dass unsere Umwelt ein genauso starkes Interesse daran hat, zu unserer (aller) Entspannung beizutragen und dass Frauen alle das gleiche Ziel verfolgen. Ich finde einerseits toll, wie sie uns zu einer Revolution von unten aufruft und gleichzeitig wünsche ich mir, meine Entspannung nicht in den Dienst einer grösseren Sache stellen zu müssen.
Fazit: Die Lektüre von «Die entspannte Frau» vereint Thesen, Ideen, Gedanken, Inspirationen aus Büchern verschiedener anderer Autor*innen, die ich in letzter Zeit gelesen habe (Franziska Schutzbach, Ali Abdaal, Felizitas Ambauen und Sabine Meyer uvm.). Es motiviert und regt dank vieler praktischer Vorschläge zum Ausprobieren an. Gleichzeitig kann es auch Erwartungsdruck aufbauen und trotz gegenteiliger Beteuerungen wie ein weiterer Aufruf zur Selbstoptimierung wirken. Vielleicht liest es sich am besten als Einladung: sich selbst besser kennenzulernen, weiter darüber zu diskutieren und Stück für Stück kleine und grosse Momente der Entspannung in den Alltag zu integrieren.
Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl.