Emily Brontës Roman Sturmhöhe (Wuthering Heights), ein Klassiker aus dem viktorianischen England, ist die melodramatische, von Rachegelüsten durchtränkte Familiengeschichte zweier Generationen, die auf zwei Anwesen im nebligen Yorkshire Moor lebten: Wuthering Heights und Thrushcross Grange. Ein komplex aufgebauter Plot, der von verschiedenen Erzähler*innen in einer Art Tagebuch, Brief- oder Dialogform vorgetragen wird.
Es beginnt 1801 mit dem Erzähler Lockwood, Pächter von Thrushcross Grange, der seinen ersten Besuch auf Wuthering Heights beschreibt und von den schlechten Manieren seines Gutsherrn enttäuscht heimkehrt. Seine Angestellte, Ellen Dean, tritt nun als Haupterzählerin auf. In vielen einsamen Abendstunden schildert sie die düstere Familiensaga, in der viel gelitten, gestorben und unglücklich geheiratet wird. Manchmal lässt sie Catherine Earnshaw, Catherine Linton oder Heathcliff sprechen (auch in Ich-Form) oder liest einen Brief vor. So bekommt man neben ihrer moralinsauren Ansicht auf die Dinge auch die überspannten, verletzten oder bösartigen Charaktere verschiedener Familienmitglieder mit. Ich musste beim Lesen konzentriert bleiben, um die Übersicht zu behalten. Dabei half mir auch eine bildliche Darstellung der Genealogie aus Wikipedia.
Die Sprache ist naturgemäss altmodisch, da es 1847 erstmals veröffentlicht wurde – aber dennoch schön und wortreich. Das hat mir gut gefallen. Manche Kapitel sind in ihrer Wert- und Moralvorstellung so veraltet, dass sie schwer nachzuvollziehen waren. Das Ganze spielt sich ausserhalb einer gesellschaftlichen Rücksichtnahme ab, die Häuser liegen im Abseits, kein Fremder kommt je vorbei. Die Figuren lassen sich ganz von ihrem Temperament leiten und werden entweder als durch und durch bösartig, rachsüchtig, durchtrieben oder leidenschaftlich und bis in den Tod gesteigert krank skizziert. Ihr Handeln ist triebhaft, ausser das von Edgar Linton, der als Einziger als edelmütiger Mann auftritt. Die Charaktere entwickeln sich meist nicht zum Besten. Heathcliff z.B. wird vom Gedemütigten zum Besessenen. Und auch die Liebe, die er für Catherine zu empfinden scheint, zeigt sich krankhaft und besitzergreifend.
Die ausführlichen Dialoge, die einzelnen Handlungen und die Charaktere sind detailliert beschrieben. Es gibt viele langatmige Stellen, und gewisse Episoden fand ich zu überfüllt oder zu melodramatisch - andere hingegen liebte ich und genoss die meisterliche Sprache.
Sturmhöhe kann faszinieren, wenn man sich einlässt und bereit ist, über die unreif wirkende Episoden hinwegzusehen. Wenn man mehr über die Autorin erfährt, die selbst in Yorkshire gelebt und offenbar auch viel gelitten hatte, ist es umso interessanter. Im Kontext mit dem einfachen Leben der Brontë-Familie, in der die Fantasie und die Bücher den grössten Stellenwert inne hielten, gewinnt dieses von Schicksalsschlägen gefüllte Drama an Sinn. Ich staune, woher diese in sich gekehrte Autorin, mit kränklicher Konstitution, die kaum ihr Geburtshaus verlassen konnte, ohne depressiv oder krank zu werden, die Ideen für ihre grausamen Figuren nahm.