Ich hatte viel Gutes über “Still” von Susan Cain gehört, sodass ich hohe Erwartungen hatte. Diese wurden leider nicht erfüllt.
Wer introvertiert ist und nach Bestätigung sucht, sich selbst zu akzeptieren, wird das im Buch finden. Aber das ist auch alles was es zu bieten hat.
- Ich fands langweilig zu lesen. Es interessiert mich nicht, ob Einstein auch introviertiert war. Ja, er war ein Genie, aber was ist der Bezug zu mir? Es gibt keinen. Bill Gates ist auch introvertiert. Aber was kann ich aus dieser Info mitnehmen? Nichts.
- Ausserdem wurde nicht explizit zwischen Intraversion und Sozialphobie unterschieden. Ich habe zwar keine Psychologie studiert, aber mir schienen ein paar der aufgelisteten Charakteristiken von Intraversion sehr ähnlich oder teilweise überlappend mit Sozialphobie. Da wäre es nötig gewesen, die Unterschiede aufzuzeigen, oder zumindest zu erwähnen, dass gewisse Merkmale bei starker Ausprägung auch auf ein psychisches Problem hinweisen könnten. Beispielsweise Blackouts zu haben wenn man vor Leuten reden muss - das kann auch auf Sozialphobie hindeuten.
- Leider waren viele Aussagen sehr verallgemeinernd. Ein Beispiel: “Extravertierte Menschen haben mehr Sexualpartner als Introvertierte, sie begehen öfter Ehebruch und lassen sich häufiger scheiden. Extravtierte betreiben mehr Sport, Introvertierte haben hingegen weniger Unfälle und traumatische Verletzungen.” So ein Schreiben finde ich nicht in Ordnung. Die Zahlen sind zwar statistisch wahrscheinlich belegbar. Aber wenn sie so dargestellt werden, wird jeder Extrovertierte als potenzieller Ehebrecher hingestellt. Es wird dargestellt, als seien alle gleich. Als seien die Introvertierten “besser” nur dadurch weil sie introvertiert sind, basierend auf einer Statistik. Dabei sind alle Menschen doch so unterschiedlich. Deshalb finde ich eine solche Verallgemeinerung irreführend und nicht angebracht. Und ausserdem: Was bringt mir als Leserin diese Beobachtung / Statistik? Nichts ausser stereotypische Vorbehalte. (Vielleicht: Nimm dich vor Extrovertierten in Acht). Schwachsinn.
Anstelle der oben genannten Auflistung von Merkmalen und historischen Fakten und Statistiken und Beobachtungen wäre es interessanter gewesen zu erfahren, wie denn eine Welt aussehen könnte, die Extrovertierten und Introvertierten beiden gerecht wird. Was können Extravertierte tun, und was können Introvertierte tun, um sich wohlzufühlen und gleichzeitig zusammen in der gleichen Gesellschaft zu leben?
Je weiter ich das Buch las, desto überzeugter wurde ich, dass die Autorin die Definition von Intraversion gar nicht kennt. Introvertierte werden von ihr als stille, sozial verklemmte, leise sprechende, tiefgründige und tendenziell nervös-besorgte Nerds abgestempelt. Extrovertierte werden als laut, risikofreudig, auf Erfolg getrimmt und unverlässlich und unüberlegt dargestellt. Solche Sachen zu lesen bringt erstens Vorurteile, zweitens stimmt das meistens überhaupt nicht.
Introvertiert zu sein bedeutet in Wahrheit, Energie zu tanken wenn man alleine ist. Extraversion bedeutet, in im Umgang mit Menschen Energie zu tanken. Das heisst: Auch introvertierte Menschen können kontaktfreudig sein (da kenne ich persönlich Menschen) und Extrovertierte können reflektierte Nerds sein. Susan Cain liegt also mit ihrer Grundannahme falsch, was Intraversion überhaupt bedeutet, und entsprechend macht das ganze Buch keinen Sinn. Hiermit empfehle ich allen, dieses Buch bitte nicht zu lesen. Es schadet mehr als es hilft.