Amélie Nothombs Erzählung «Der Professor» lässt sich sicherlich bestens analysieren und eignet sich damit hervorragend für ambitionierte Lesegruppen. Mir hingegen wird vermutlich der Grossteil durch die Lappen gegangen sein, habet Nachsicht mit mir.
Worum geht’s? Das Ehepaar Hazel erfüllt sich mit dem Ruhestand einen lebenslang gehegten Traum: Sie kaufen ein abgelegenes Häuschen und können endlich in aller Ruhe und ganz für sich sein. Denken sie. Doch ihr einziger direkter Nachbar entpuppt sich als Archetyp des Quälgeistes. Jeden Nachmittag um 16 Uhr klingelt er bei ihnen und bleibt für zwei Stunden, ohne mehr als «Ja» oder «Nein» zu sagen. Was will der Mann? Warum kommt er? Wie lässt sich seinen Besuchen entgehen?
Ich musste immer wieder an Paul Watzlawicks Geschichte mit dem Hammer denken – an das Gedankenkarussell, das in uns anläuft, wenn uns die Motivation des Gegenübers nicht klar ist und wir versuchen, uns in den jeweils anderen hineinzuversetzen. Ich-Erzähler Emile und seine Frau, Juliette, machen verschiedene Phasen durch, kommen teils zu ganz unterschiedlichen Schlüssen – es ist ein böses Vergnügen, sie dabei zu beobachten. Überspitzt ist dabei nicht nur die Situation, sondern einmal mehr auch die Figuren, aber da will ich nichts weiter verraten.
Die Hazels und ihre Nachbarn sind dabei wie Zerrspiegel voneinander und über allem schweben die Fragen: Welches Verhalten wird gesellschaftlich von uns erwartet? Wie reagieren wir, wenn sich jemand nicht an die gesellschaftlichen Konventionen hält? Was macht das mit uns und wie verändern wir uns dadurch?
Zwischendurch habe ich beim Lesen den Faden verloren, was auch daran liegen mag, dass die Handlung weitestgehend nach dem gleichen Schema abläuft. Weitere äussere Einflüsse gibt es kaum, die Figuren bleiben gleich, nur die Gedanken des ehemaligen Griechisch- und Lateinlehrers, seine Ausführungen verändern sich, jedoch gerät er dabei leicht ins Dozieren (dazu hat Nothomb einen gemeinen kleinen Seitenhieb versteckt, was auch für andere ihrer Bemerkungen gilt).
Für mich war es gerade nicht ganz die richtige Lektüre. Einerseits hätte ich vermutlich jemanden zum Diskutieren gebraucht, denn es ist keine reine Unterhaltungslektüre. Andererseits hatte ich mich etwas mehr davon erhofft. So bleibe ich diesmal eine etwas undankbare Leserin, auch das möge mir nachgesehen werden.
Aus dem Französischen übersetzt von Wolfgang Krege.