Es ist der junge Erwachsene Joachim, in dessen Leben wir in diesem Buch eintauchen. Es sind Jahre im Leben eines jungen Mannes, der sich entdeckt, unstet und etwas ziellos. Er lässt sich und auch seine Triebe treiben. Bei all den Erfahrungen, die er macht und beschreibt, bleibt eines konstant - Joachim Meyerhoff ist ein genauer Beobachter, der bei seinen Betrachtungen auch immer mit den Gedanken abschweift. Eine Konstante, die mir in seinen Büchern sehr gut gefällt.
Zum Inhalt: Joachim hat eine Anstellung und wohnt in Bielefeld. Dort verliebt er sich richtig und vehement. Es überrollt ihn fast. Die junge Frau, Hanna, wird unvorteilhaft aussehend geschildert. Ihr eigenwilliges Äusseres fesselt ihn aber und auch ihre Haltung. Sie lernen sich kennen und kommen zusammen. Ihr Zusammensein scheint mir unkonventionell - auf jeden Fall sehr offen und authentisch. Wie sie miteinander umgehen, kann seltsam anmuten. Hanna hat einen positiven Einfluss auf ihn, ich habe den Eindruck, sie hat ihn persönlich weiter gebracht. Man erfährt auch von seinen ersten Erfahrungen am Theater, seinem Scheitern und seinem Durchhalten. Er erhält ein Angebot in Dortmund und nimmt dieses an. Hanna erzählt er lange nichts davon. Sie reagiert erst heftig, aber die Beziehung hält der Distanz stand. In Dortmund gibt es wieder eine Frau - eine ganz andere Frau, grossgewachsen, langgliedrig, leidenschaftlich und geschminkt. Mit ihr beginnt er eine Daueraffäre. Er erzählt den beiden Frauen nichts voneinander und muss sich zwischen diesen Beziehungen durchschlängeln. Das führt manchmal zu brenzligen Situationen. Man kriegt viel von seinem Liebesleben mit, viel von den Gesprächen zwischen ihm und Hanna und auch einiges aus dem Theaterleben. Dazu kommt noch die mollige Bäckerin Ilse, bei der er ebenfalls ein warmes “Zuhause” findet. Über weite Strecken hat man den Eindruck, dass seine Familie in den Hintergrund gerät. Erst gegen das Ende des Buches werden wieder Erinnerungen hervorgeholt, dann auch Erinnerungen an die Toten, welche einen grossen Raum im Leben des Autoren einnehmen. Es sind nur wenige Jahre, die in diesem Buch geschildert werden - intensive Jahre eines unsteten jungen Mannes, der sich Freiheiten herausnimmt und einen gewissen Mannesstolz hat, mehrere Frauen zu haben und dieses Leben im Griff zu haben.
Zum Buch/Sprachstil: Wie der Autor seine erste “richtige” Freundin, “seine” Frauen beschreibt, befremdet mich - auch die sehr intimen Schilderungen seines Liebeslebens. Möglich, dass diese Beschreibungen sich stark von seinem damaligen realen Leben unterscheiden und die Frauen nicht wiedererkennbar sind, ist es verträglich.
Dieses Buch habe ich in einem längeren ersten Teil weniger vergnüglich gefunden und das Komische in der Sprache hat weniger überzeugt. Je weiter die Geschichte fortschritt, desto besser hat sie mir gefallen. Auch der typische Humor Meyerhoffs kam wieder gut hervor. Von den vier bisherigen Bände der Reihe “Alle Toten fliegen hoch” hat mir dieses am wenigsten gut gefallen.
- Hanna: “Sag das nie wieder zu mir, hast du das verstanden? Verlange nie wieder von mir, nicht so empfindlich zu sein. Meine Empfindlichkeit ist das Einzige, was mir bleibt, und ich weiss wirklich nicht, wie lange sie es noch aushält, son solchen Ignoranten wie dir auf die Probe gestellt und beleidigt zu werden. Merk dir das für ein und alle Mal: Unkompliziert ist unter meiner Würde.” Das war schon anstrengend. Aber genau das mochte ich, dass sie sich nich mit mir zufriedengab, so wie ich war und das auch permanent von mir verlangte, mich nicht mit mir zufriedenzugeben.
- Beim Zahnarzt: “Ist es denn nicht seltsam, jahrelang einen toten Zahn mit sich rumzutragen?” “Wie mans nimmt. Ich gebe Ihnen jetzt eine ordentliche Betäubung und dann geht’s los.” Als das Mittel wirkte, schien nicht nur der Zahnschmerz zu verschwinden, auch alle anderen Körperirritationen mochten das Medikament und entspannten sich. Ein grosser, lange nicht mehr da gewesener Friede durchwehte mich. Der Grad meiner Getriebenheit wurde mir durch ihr Nachlassen überhaupt erst bewusst.