Mit diesem Roman fällt ein helles Licht in eine düstere Zeit. Lind gibt einem wohl eher vergessenen Kapitel Kriegsgeschehen (2. WK) eine Geschichte - und somit ein Gesicht:
Pommern kurz vor Kriegsende - die Menschen zwar um ihre Söhne beraubt, die in den Krieg abgezogen wurden und zumeist verschollen blieben, doch bis anhin vom Krieg verschont. Die fehlenden Arbeitskräfte auf den Höfen wurden durch polnische Zwangsinternierte ersetzt, diese je nach Ort, wo sie hinkamen gut oder schlecht behandelt… Da wendet sich das Blatt gegen Kriegsende mit dem Einfall der Russen. Viele der Polen wenden sich gegen ihre ehemaligen Herren - Rache, Demütigung, Unterdrückung, Vergewaltigung und Vertreibung sind plötzlich an der Tagesordnung.
Anna, kehrt aus dem zerbombten Hannover in ihre noch unbehelligte Heimat zurück, den Mann, den sie mehr aus Trotz denn aus Liebe geheiratet hatte, verlässt sie, sein Kind in ihr… Dass sie vom Regen in die Traufe kommt, kann sie nicht wissen.
Auf einmal wird ihr Leben und das ihrer Familie, ja des ganzen Ortes zu einem einzigen Spiessrutenlaufen - selbst die Geburt ist kaum zu überleben. In ständiger Angst vor den Russen, versteckt man sich, wo immer nur irgend ein sicherer Ort sich zu finden scheint - und doch bleibt kaum eine und einer verschont…
Werden es Anna und ihre kleine Paula schaffen? Die Eltern, Geschwister… ?
Mit eindringlichen Bildern erzählt Lind diese erschütternde Geschichte, die aufwühlt. Manches kommt mir dabei doch arg konstruiert daher, mitunter zu viele der Zufälle - und wie ich im Nachwort der Autorin lese, gibt mir das Gefühl recht. Lind hat zwar ‘wahre Begebenheiten’ als Vorlage und Inspirationsquelle benutzt, diese jedoch recht frei gehandhabt. Letztendlich verknüpft sie zwei Geschichten zu einer und biegt sie entsprechend zurecht. Das hinterlässt ein etwas schaler Geschmack, auch wenn sich Lind an die Fakten der Zeitgeschichte hält. - Und mag sein, dass es DIESE Geschichte tatsächlich SO gegeben hat.
Trotz dieses ‘Mangels’: die Erzählung lässt einen nicht kalt. - Dass Lind sie ins Heute hinein stellt, zeigt auf, dass der WK mehr als eine klar begrenzte Episode in der Zeitrechnung war. Die erwachsene Paula findet beim Aufräumen des Elternhauses nach Mutters Tod deren Aufzeichnungen zum Krieg - und so eine Spur ins eigene Leben - das damit unversehens auf den Kopf gestellt wird! - Die kryptische Reaktion des Vaters auf Paula’s Aussagen zum Krieg sind schwer nachvollziehbar - muss sie so ja glauben, dass er ganz in die Demenz abgleitet…
Ein Buch ‘wider das Vergessen’ - doch frage ich mich im Blick auf unsere Zeit, haben wir wirklich dazu gelernt…?!?!