Ich lese und staune, staune, staune – auch bei Mithu Sanyals zweitem Roman, «Antichristie». Die Vielfalt der Themen, die Kombination verschiedener Genres, ihr Witz, ihre Schlagfertigkeit und ihre Sprache – ich bin einmal mehr restlos begeistert.
Durga, eine etwa 50-jährige Drehbuchautorin aus Deutschland, reist kurz nach der Bestattung ihrer Mutter nach London, um dort gemeinsam mit einem Kreativteam Agatha Christies Krimis allgemein und Hercule Poirot im Besonderen, sagen wir, zeitgemäss zu interpretieren. Während vor der Bürotür täglich mehr Demonstranten zusammenkommen, stirbt auch noch die Queen.
Wir springen allerdings auch ins London des Jahres 1906 und mitten hinein in die, mir bis dahin wenig bekannte, Indische Unabhängigkeitsbewegung. Die dort auftauchenden Figuren haben mehrheitlich tatsächlich gelebt – so nicht eindeutig aus dem Reich der Fiktion entliehen. Die Grenzen zwischen den beiden Zeitebenen verschwimmen zunehmend im Verlauf des Romans.
Rein inhaltlich erhalten wir, zusammen mit unserer Hauptfigur, eine Geschichtsstunde und beschäftigen uns mit hochaktuellen Themen. Wie sollen wir bspw. umgehen mit Rassismus in Klassikern der Literatur? Sanyal zeigt, wie komplex das Thema ist, wie schwer, wenn nicht gar unmöglich, eine eindeutige Beantwortung von dieser und allen weiteren damit verwandten Fragen und wie wichtig deswegen die Auseinandersetzung miteinander ist.
Ich könnte noch stundenlang weitererzählen und von den Anspielungen, Referenzen und ihrem Spiel mit Zitaten schwärmen (wir beginnen uns dabei zu fragen, welche davon echt sind und welche aus dem Reich der Fiktion…). Bevor ich mich dazu hinreissen lasse: Bitte unbedingt selber lesen.