Artig sein und brav, das war die Botschaft der Mädchenbücher, die Elke als Kind zu lesen bekam. Und die Jungs bekamen Bücher von Mut und Abenteuer, von Draufgängertum und Heldenhaftigkeit zu lesen. Ja, was macht das mit einem Mädchen, einem «Backfisch», einer jungen Frau, wenn sie vor allem Bücher zu lesen bekommt, die einem alten Klischee von Weiblichkeit aufsitzen und es vertiefen? Was soll ein Literaturstudium, wo ausschliesslich Bücher von Männern lesenswert sind? Elke Heidenreich beschreibt entlang ihres Lebens, was und wie sie gelesen hat, welche Bücher von Frauen sie entdeckt hat und wie sie sich darin wiedergefunden hat. Lesen als Dialog und Weg der Selbstfindung in einer von Männern dominierten Welt, in der Bücher von Frauen als «nur Frauenliteratur» bezeichnet werden, eben nichts grosses, Welt bewegendes. Mutig wie sie ist hat sich Heidenreich eingemischt, kommentiert, am Radio und Fernsehen Bücher besprochen, nicht als Kritikerin, sondern vor allem als Literaturvermittlerin. Ja, Lust zum Lesen wollte sie wecken, und es ist ihr gelungen mit Büchern von Frauen, die, von den meisten Männern unbeachtet, zur Selbstreflexion und Entfaltung der Persönlichkeit beitragen. Lange konnten Frauen nur unter Pseudonym schreiben, Mann sprach ihnen die Fähigkeit und Berechtigung zu Denken und zu Schreiben schlicht ab. Heidenreich hebt da unzählige Schätze von Büchern, die von Frauen geschrieben wurden, entdeckt Frauen, die zu Unrecht belächelt und nicht beachtet wurden. Frauen lesen und schreiben eben anders: «Das ist eine Sache von Liebe, Erfahrung, Leidenschaft, nicht von Eitelkeit. Wir wollen, sollen nicht zeigen, wie schlau wir sind und was wir alles gelesen haben, sondern wir suchen in jedem Buch uns selbst, eine Deutung unseres eigenen Lebens». (144)
Ihr Fazit: «Literatur ist ein Geschenk. Bücher sind ein Glück. Geschichten sind lebensnotwendig, um die eigene Verwirrung zu ordnen. Ob wir Bücher von Männern oder Frauen lesen, das spielt keine Rolle. Wenn sie gut sind …». (182)
Bei mir jedenfalls hat diese Lektüre einmal mehr die Lust zum Lesen geweckt, besonders auch von Büchern, die von Frauen geschrieben sind. Und als Mann fehlen mir oft Bücher, in denen spürbar wird, wie es dem schreibenden Mann wirklich geht, was ihn bewegt, umtreibt, welches seine Hoffnungen und Sehnsüchte sind. Das muss und soll nicht autobiografisch sein, aber es wäre schön, wenn die Fragen des Lebens zwischen den Zeilen durchschimmern würden, denn als Mann möchte ich auch mit Büchern von Männern durchs Leben gehen.