Thema dieses kleinen feinen Büchleins ist die vage Diagnose Hysterie und der fahrlässige Umgang mit den angeblich daran erkrankten jungen Mädchen und Frauen in der Salpêtrière, einer ‘Heilanstalt’ im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
In der einleitenden Anmerkung wird ein zufällig gefundenes Manuskript einer unbekannten Verfasserin erwähnt und die tagebuchähnlichen Notizen darin sollen ihr Schicksal aufzeigen, uns mitnehmen in die düsteren Winkel und Räume besagter Anstalt, die Atmosphäre hautnahe spüren lassen. Ein geschickter Kniff des Autors und sehr wirkungsvoll. Zudem wird auch der Name einer bekannten Variété-Tänzerin genannt, das dem Buch vorangestellte Zitat stammt ebenfalls von ihr. So wird die Verknüpfung von Fakten und Fiktion noch intensiver.
Die namenlose Ich-Erzählerin ist demnach Tänzerin, die nicht mehr tanzt und zur ‘Heilung’ in die Salpêtrière eingeliefert wird. Mit ihrem frischen, unverblümten, beinahe amüsierten Blick auf die Geschehnisse in der psychiatrischen Anstalt, nimmt sie diesen zumindest im ersten Moment noch den Schrecken. Das ändert sich langsam, je länger ihr Aufenthalt dauert. Lässt sich die Ich-Erzählerin anfänglich noch begeistert vom behandelnden ‘Doktor’ bei den verschiedenen Vorführungen vor anderen Ärzten einspannen, wird der Druck, gewisse Erwartungen zu erfüllen immer grösser, sie wird zusehends verwirrter. Und ich bin es auch als Leserin. Das ist sehr beeindruckend!
Die Stimmung in der psychiatrischen Einrichtung wird so hervorragend eingefangen. Durch die kurzen fragmentarischen Anmerkungen der Ich-Erzählerin entsteht viel Spannung und Atmosphäre. Es vermittelt nur ein Gefühl, nichts wird erklärt und nichts gewertet.
Mir hat Nachtblaue Blumen und der eigenwillige aber sehr angenehme Schreibstil des Autors gut gefallen. Es bringt zum Nachdenken und beim zweiten oder dritten Mal Lesen kann man bestimmt immer wieder etwas neues darin sehen. Das ist ein wertvoller Punkt, das kann sicher nicht von jedem Buch behauptet werden. Das offene Ende und die vielen Fragen die bleiben, werden vielleicht nicht alle mögen, mich hat es jedoch sehr angesprochen und angeregt und deshalb empfehle ich Nachtblaue Blumen gerne weiter und vergebe vier grosse Bücherherzen.