… zwischen den Gesellschaftsschichten, in denen ihr Leben spielt, scheint mir Denise Lesur, die Hauptprotagonistin des autofiktionalen Romandebuts von Annie Ernaux.
Das Buch beginnt mit der Beschreibung, wie Denise als gut zwanzigjährige Studentin den Schwangerschaftsabbruch bei einer Engelmacherin erlebt. Schonungslos, mit klaren, rauen Worten beschreibt sie, was vor sich geht, wie sie sich fühlt. Man ahnt, dass es kein sanftes Buch sein wird.
Denise blickt zurück auf ihr junges Leben, aufgewachsen als Krämertochter, deren Eltern neben dem Laden noch eine Kneipe führten. Ein ausgesprochen bescheidenes Leben, enge Räume, Unordnung, Dreck, ein “Pisspott” und genau so auch die Sprache. Die Eltern kennen nichts anderes und Ninise wächst inmitten diesem “Zuhause” auf. Die Eltern möchten, dass ihre Tochter etwas erreicht, in der Schule lernt, gute Noten nach Hause bringt und es zu etwas bringt. Das Lernen fällt Denise leicht. Sie ist vor allem sprachbegabt und kann auf eine katholische Schule gehen, mit Kindern aus anderen gesellschaftlichen Schichten. Mit den Büchern und den neuen Kontakten lernt sie leicht einen anderen Sprachgebrauch und feinere Umgangsformen. Sie empfindet Hass für ihre Eltern, die schmutzigen Räume, die Unordnung, die Kneipenbesucher, die sich regelmässig betrinken und sich entsprechend benehmen, die Kundinnen, ebenfalls nur Leute aus einer niederen Gesellschaftsschicht. Zu den feineren Schichten fühlt sie sich aber auch nicht richtig zugehörig. Es ist ein unglückliches Leben. Sie kann sich gut in Bücher vergraben, was aber ihre Grundstimmung nicht bessert.
Das ganze Buch durch ziehen sich Hassgefühle, denen sie sich teilweise wohl schämt, Vorwürfe, negative Gedanken über ihre Eltern, die Lehrpersonen, ihre Kolleginnen und Kollegen durch. Auch die jungen Männer kommen nicht gut weg. Es ist ein unheimlich stark getriebenes Schreiben, atemlos - auch das Lesen. Es ist aus meiner Sicht eine noch unerwachsene, unreife junge Frau, die hier beschrieben wird. Eine Frau, die sich hoffentlich noch finden wird und zu einem gesunden Verhalten sich selbst und anderen gegenüber findet.