DrQuinzel Danke für die guten Fragen zum letzten Teil. Bitte entschuldige meine enorme Verspätung!
Das Ende hat mich leider enttäuscht. Zwar ist es schön zu lesen, dass Anina und die Kunst sich wieder finden. Dass es Anina mit der Hilfe von Pralina und mittels der Erbschaft (Kauf des kleinen Hauses) gelingt, ihre Hemmung und die tiefe Blockade, zu Zeichnen zu überwinden, stimmen positiv. Anina findet den Mut, sich selbst wahrzunehmen: “Je ne me suis pas vu. Bien, je commence à me voir” (S. 166) und so beginnt sie auch, zu sich zu stehen. Damit ist ein wichtiges Element dafür, dass die Familie wieder zusammenfinden kann, wiederhergestellt. Solange Anina sich selbst verdrängte, solange war sie ja auch für die kleine Natalie nicht da, die sie ja bereits als anwesende vermisste.
Die Szenen auf dem Campingplatz und im Häuschen waren interessant, aber meiner Meinung nach etwas zu viele: ich habe sie alle als Impulse wahrgenommen, dass Anina endlich wieder zu sich findet, dass sie diese verflixte schwarze Katze endlich sieht, aus dem dunklen Raum tritt und ihre Begabung endlich selber zu fassen anfängt und wieder zeichnet, malt. Es sind berührende Miniaturen, schöne und etwas traurige kurze Begegnungen. Vielleicht hätten weniger davon auch schon gereicht? Für eine eher kurze Erzählung, finde ich, kommen etwas viele “Nebenfiguren” vor - auch wenn ich wirklich jede einzelne dieser Figuren (Campingwart, Wittwer Kurt, Nachbarin Charlène, Laurent; Buchhändler Chevalier, Bettlerin, Strassenmusiker…) sehr berührend fand. Alles in Allem fand ich diesen dritten Teil einfach etwas zu überladen, zu vieles wird nur angedeutet und wie art3mi5 schreibt, der Leser*in überlassen. Auch der Dozent Perrot wird ziemlich rasch abgehandelt, finde ich. Warum hat er Fälschungen gemalt? Was war es an diesem Skandal, das Anina damals derart erschütterte, dass sie alles hinschmeisst? Das Verschwinden des Dozenten? Ihre Ängste? Wovor: vor sich selbst? Schade, dass A.D. Winter hierzu keine klareren Spuren zeichnet. Danke Stellamara denn ich hätte auch gerne mehr dazu erfahren und konnte den Grillnachmittag in Sion 1968 nicht wirklich einordnen: auf diesen hätte ich durchaus verzichten können. Vielleicht werde ich aber gerade deswegen diese Erzählung noch einmal lesen: möglich, dass mir viele Zusammenhänge erst dann auffallen.
“Les invisibles” ist ein sehr schönes Projekt für Anina und meiner Meinung nach eine passende, sehr passende Schlussperspektive: Anina war ja davor z.T. für sich selbst unsichtbar, sie sah sich selbst gar nicht, die schwarze Katze im dunklen Raum war auch unsichtbar und und mit Agostino spielten sie ja “Gesichter sehen” zusammen: das Sehen erlernen, den Mut zum Sehen entwickeln: das wird mir von diesem Buch bleiben und es ist ein schöner Schluss. Ja, ich finde der Bezug zum Titel zieht sich durch die Erzählung hindurch.
Mich hat der Autor auch neugierig gemacht. Wie Sonne12 sagte, ich würde auch etwas anderes von ihm lesen.
Bitte entschuldigt, dass ich mit so enormer Verspätung erst schreibe. Es ging bei mir etwas drunter und drüber. Es war jetzt auch das erste Mal, dass ich in so einer Runde dabei war und ich möchte mich für diese Chance und die spannenden Einblicke durch unsere unterschiedlichen Blickwinkeln bedanken 🙏