Fanny
Ich bin nun mit dem Buch fertig. Leider hat sich meine Vermutung bestätigt und Agathe ist ihrem eigenen Umfeld zum Opfer gefallen. Ich denke, viele jüngere Personen können Agathe nicht verstehen. Allerdings kann ich nachempfinden, in was für Zwängen diese junge Frau aufgewachsen ist. Hätte sie sich - ohne Bezugsperson und ohne Halt in der Gesellschaft (was sie von Martin erwartet hat) - gelöst und hätte sie sich für sich eingesetzt, wäre sie wohl komplett auf der Strecke geblieben. Eine junge Frau aus einer höheren Gesellschaftsschicht, welche nichts gelernt hat, nichts studiert hat, von den Eltern finanziert wurde, in einer Welt, in der alles, was Frauen ,,falsch’‘, ,,sündig’‘ oder ,,unsittlich’‘ machen, diese geradezu von der Gesellschaft ausgeschlossen werden… Das hätte für Agathe in keinem Fall gut ausgehen können. Das Buch hat mich etwas an Downtown Abbey erinnert. Ist es doch gerade die Gesellschaftsschicht, welche hier abgebildet wird. Auch da waren es eher die Mädchen der ,,tieferen’' Gesellschaftsschichten, die wohl weniger Ansehen, Vermögen und dergleichen zu verlieren hatten, welche sich für sich und ihre Bildung eingesetzt haben.
Da ich selber in einem Wissen aufgewachsen bin, in welchem der ,,MANN’' besser ist und auch das Recht hat, sich auszuleben, gebildet zu sein usw., weiss ich genau, wie anstrengend und nervenaufreibend es ist, sich dagegen aufzulehnen. Da ist es sehr wichtig, ein Umfeld um sich zu wissen, das einen unterstützt und einem Halt gibt. Das hat Agathe nicht gefunden und sie hat verständlicherweise nicht den Mut aufgebracht, sich dem zu stellen.
Für mich ist das Buch ganz realistisch und leider auch für die heutige Zeit zumindest teilweise adaptierbar. Ich bin allen Frauen vor mir unglaublich dankbar, dass sie sich für uns alle eingesetzt haben, so dass wir keine Zustände wie anno dazumal mehr haben. Dennoch gibt es div. Beispiele, in denen Frauen noch Aufholpotenzial haben. Man darf aber auch nie vergessen, dass Frauen bis mind. 1980 wie debile Wesen behandelt wurden und ihnen gesellschaftlich nicht wirklich eine Zurechenbarkeit zugetraut wurde. Dies ist ganz klar auch aus den altrechtlichen Bestimmungen ersichtlich.
Ich bin sehr dankbar, dass ich das Buch in dieser Leserunde lesen durfte. Es macht mich stolz, wie weit wir bis heute gekommen sind und irgendwo einfach auch dankbar.