Achtung: Dieses Buch könnte Nebenwirkungen haben, darunter Aufräumeritis und den Wunsch wieder vermehrt Briefe oder gleich einen Roman zu schreiben.
Arno Geiger blickt als Ich-Erzähler zurück auf sein bisheriges Erwachsenenleben. Das Zentrum seiner autobiographischen, jedoch künstlerisch verdichteten und strukturierten Betrachtungen wechselt dabei: Versagensängste als noch nicht publizierter Schriftsteller, Beziehungsenden, -neubeginne, -krisen und -glück, Krankheit/Tod von Familienangehörigen und Freunden («Das Leben ist eine Zumutung.»), damit verbundene Existenzgedanken, beruflicher Erfolg und privates Burnout, aber später eine tiefe Gelassenheit uvm. Der rote Faden sind dabei die jahrzehntelangen Streifzüge durch die Altpapiertonnen Wiens und seiner Vororte und die Funde, die er dabei macht und die ihn und sein schriftstellerisches Schaffen prägen.
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. An diesen Ausspruch des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard musste ich dabei immer wieder denken. Ich schätze, wie aufrichtig der Ich-Erzähler von seinen diversen Krisen und Ängsten schreibt, von seinen jugendlichen Überzeugungen und seinen späteren Erkenntnissen. Es sind Gedanken, die sich viele von uns im Leben machen, in denen wir uns wiederfinden und es ist zutiefst tröstlich zu lesen, wie andere Menschen vor demselben Dilemma stehen. Das ist es auch, was die im Altpapier gefundenen Briefe und Tagebücher im Nachhinein zu seinen wertvollsten Funden werden lässt. Bei ihnen geht er in die Lebensschule – und wir mit ihm.
Auch wenn er am Ende sagt, «Das glückliche Geheimnis» sei «ein bisschen rau, stellenweise ungehobelt», so ist uns gleichzeitig nach den vorherigen Schilderungen seiner intensiven und gründlichen Arbeitsweise (auch das ein lohnender Aspekt der Lektüre: Geigers Erzählungen vom Schriftstelleralltag, seinen Höhen und Tiefen etc.) und in Anbetracht seiner sorgfältigen Formulierungen und des Aufbaus bewusst, dass hier jemand mit grossem erzählerischem Können schreibt.
Das Schönste an «Das glückliche Geheimnis» ist, dass es sich lohnt, das Buch immer mal wieder in die Hand zu nehmen. Denn Geigers Betrachtungen des Lebens sind so vielfältig, dass ich vermutlich bei jedem Lesen einen Aspekt verstärkt wahrnehme, der mir zuvor entgangen ist.