Der Roman spielt im hohen Norden des verschneiten Lapplands. Das Licht ist diffus, die Wahrnehmung trügerisch, die Erinnerungen lückenhaft. Damit spielt die Autorin ganz bewusst.
Karo und Risto, ein vordergründig gut situiertes Ehepaar aus Helsinki, verbringt ihren Urlaub in eben diesem hohen Norden. Auf der Rückfahrt haben sie einen Unfall und sitzen deswegen noch für ein paar Tage im einzigen Hotel der abgeschiedenen Region fest, im Arctic Mirage. Der Name ist Programm.
Das ist die ungefähre Ausgangslage, doch der Roman startet mit seinem Ende. Karo hat Risto umgebracht. Bumm! So wird es zumindest präsentiert und die Gedanken beginnen sofort zu kreisen.
Wie und ob es soweit kommen konnte und wie sich die Situation weiter entwickelt, wird nun vor allem aus der Sicht und den Erinnerungen von Karo erzählt. Dabei ergibt sich langsam das Bild einer Beziehung, geprägt von Abhängigkeit, Manipulation, Machtspielen, bis hin zu Gewalt. Wobei es immer mehr oder weniger offen bleibt, wo genau jetzt die Wahrheit liegt.
Diese Wahrheit und damit auch den Unfallhergang zu ergründen bleibt jedoch das Ziel von Karo. Sie ist dabei trotz dauernder Verwirrung und unkooperativen Verhaltens von Risto und der gesamten Umgebung erstaunlich hartnäckig und in der Szene vor der endgültigen Eskalation, erkennt sie plötzlich das Ungeheuerliche ihrer Situation. Und so bleibt ihr schlussendlich nur ein Ausweg.
Das zu beobachten und mitzufühlen ist faszinierend und abstossend zugleich. Es wird noch verstärkt durch die Einführung verschiedener Nebenfiguren im Umfeld des Arctic Mirage, die allesamt gefangen sind in ähnlich lieblosen oder hoffnungslosen Beziehungen. Sie geben sozusagen die Hintergrundmusik des gesamten Geschehens.
Mir hat der Roman gefallen, gut gefallen sogar. Nachdem ich mich an die etwas raue Sprache gewöhnt hatte, konnte ich auch in die Geschichte eintauchen. Das war absolut nicht angenehm, diese dauernde Verunsicherung, diese Kälte, aber dass ich sie so fühlen konnte, ist eine grosse Leistung der Autorin. Trotz des Prologs blieb auch die Spannung bis zum Schluss. Denn wie es zu dieser gewaltigen Eskalation kommen konnte, wird in Rückblenden zwar angedeutet, aber nicht ausführlich entwickelt. Das fand ich sogar durchaus realistisch, denn wie ein Beziehungsgeflecht entsteht, lässt sich meiner Meinung nach nie bis zum letzten Detail analysieren und Erinnerungen sind tatsächlich nicht immer zuverlässig.
Arctic Mirage ist das Debut der finnischen Autorin und Sängerin und spiegelt ein mehrheitlich düsteres, aber wahrscheinlich leider realistisches Bild der sozialen und gesellschaftlichen Zustände und Gefüge in ihrem Land. Es ist geschickt konstruiert und spielt bis zum Ende mit unserer Wahrnehmung und unseren Gefühlen. Wer das Düstere darin nicht scheut und die gezielte Irreführung aushält wird diesen Roman aber bestimmt schätzen. Mich hat auf jeden Fall schon lange kein Buch mehr so stark beschäftigt.