Hervorragend aufgebaute Geschichte, die einen Spiegel auf bestimmtes gesellschaftliches Handeln richtet.
Am Anfang ist die Beerdigung von Molly Lane, Ehefrau des Verlegers George Lane. Hauptprotagonisten sind drei ihrer ehemaligen Liebhaber, Clive, Vernon und Julian - Komponist, Chefredakteur, Politiker (Ausseminister).
Clive und Vernon sind alte Freunde. Julian mögen sie nicht. George hat nichts für die drei Ex-Liebhaber übrig. Die Freundschaft von Clive und Vernon wird durch einige Vorkommnisse und auch durch Befindlichkeiten belastet. Sie schliessen einen Freundschaftspakt, streiten sich, suchen Versöhnung. Immer wieder im Zentrum des Geschehens die Erinnerung an Molly. Ihr Mann George spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Amsterdam ist der Titel - dort gelangt alles zur Auflösung.
Während der Erzählung begleitet man Clive bei der Arbeit - der schöpferischen, bei der er auf der Suche nach den Melodien für seine neue Musik ist, dem Niederschreiben der Noten. Den Zeiten, in denen er nicht arbeiten kann. Mit Vernon kann man die Arbeit in der Redaktion des Judge begleiten, den Druck die Auflag zu steigern, die Sitzungen. Begegnungen und Diskussionen zwischen den beiden Freunden über ihre Erlebnisse, über Julian und George.
In der Geschichte zeigen sich verschiedene sehr spezifische gesellschaftliche “Gesichter”. Es geht um Gerechtigkeit, Ansehen und was “man” tut, um Erfolg zu haben und sich behaupten zu können. Die Medien und wie sie sich orientieren sind ebenfalls im Brennpunkt - ausgesprochen spannend, mit dem McEwan eigenem Humor und Zynismus aufbereitet.
Ich bin einmal mehr begeistert von der Sprache, der Vielseitigkeit und dem Einfallsreichtum des Autors. Das Buch ist spannend zu lesen, zum Nachdenken anregend. Wie in den anderen Werken, die ich gelesen habe, konnte ich auch hier nichts vorwegnehmen. Immer wieder ungemein überrascht. Man wird sich unweigerlich Fragen stellen, Gedanken machen, ohne dass eine Moral vorgezeichnet ist.
Eine grosse Leseempfehlung.
Mrs. Garmony (Ehefrau von George, Chirurgin) in einem Fernsehinterview: “Nein, sagte Mrs. Garmony, und sie sei froh, ein für allemal klarstellen zu können, dass das Gerücht jeglicher Grundlage entbehre. Molly Lane sei nichts weiter als eine Freundin der Familie …” Vernon hatte gerade sein Büro durchquert, um das Gerät auszuschalten, als die Chirurgin gefragt wurde, ob sie für den Chefredakteur des Judge eine besondere Mitteilung habe. Ja, sagte sie und dann blickte sie ihn an, und er blieb wie angewurzelt vor dem Bildschirm stehen. “Mr. Hallyday (Vernon), Sie haben die Denkungsart eines Erpressers und das moralische Format eines Flohs”. Vernon stöhnte auf vor schmerzhafter Bewunderung, denn von griffigen Wendungen verstand er nun wirklich etwas.