Gilt der Titel dem physikalischen oder dem metaphorischen Element
In “Sich lichtende Nebel” findet ein Ereignis statt, das nur Bedeutung erhält, weil es in diesem Moment von einem - resp. zwei Menschen - wahrgenommen wurden, die sich gerade da in einer entsprechenden Disposition befanden.
Der Beobachter - der Wissenschafter Heisenberg - sieht einen Passanten im Kegel einer Strassenlaterne erscheinen, um im nächsten Moment im dichten Nebel zu “verschwinden” - im nächsten Lichtkegel taucht er wieder auf und wird wieder unsichtbar.
Dieses Erlebnis geht ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Der Passant, ein von Haller erfundener Mann namens Helstedt, ein pensionierter Historiker, der aktuell gerne Essays und Artikel schreibt, weiss nichts davon, dass er auf dem Weg beobachtet wurde.
Selbst hat er zwei Tage später ein Erlebnis, das ihn nicht mehr loslässt - er nimmt seine Umgebung anders wahr, als bisher, als wäre alles in winzigen Einzelteilen ständig im Fluss und in Bewegung - auch in einem anderen Licht.
Beide Hauptprotagnisten vertiefen sich darin, ihre Wahrnehmungen zu analysieren, und gedanklich auszuarbeiten.
Es geht dabei immer um Wahrnehmung - wie diese beeinflusst wird, schon allein durch die Perspektive oder das Befinden des Beobachters. Heisenberg arbeitet selbstverständlich als Physiker daran, das Ereignis zu ergründen, in Zusammenhang mit seinen bisherigen Kenntnissen und Erkenntnisse zu bringen.
Im Buch kommen abwechselnd die beiden Hauptprotagonisten zum Zug, indem man ihren Gedanken, Gesprächen mit anderen oder dem, was sie tun und arbeiten folgen darf. Dabei näheren sie sich gewissermassen auch an und der Nebel beginnt sich zu lichten.
Nicht nur der Nebel ist dicht in jener Nacht, als Heisenberg den Passanten beobachtet, dicht ist auch die Erzählung. Ausgezeichnet zeichnet Haller die beiden Charaktere, zeichnet sie mit Persönlichkeit aus und versteht es, einen mit auf die Gedankenreise zu nehmen, wie Wahrnehmung stattfindet, wie sie interpretiert und wie allenfalls auch Ereignisse wissenschaftlich mehr oder auch weniger begründet werden können.
Meiner Meinung nach hat Haller mit diesem schmalen und starken Werk den Schweizer Buchpreis absolut verdient.