Ich bin ja immer auf der Suche nach Büchern, die etwas mit mir machen. Coco Mellors hat mich mit ihrem Debütroman immer wieder überrascht, zum Lachen gebracht, mich mitfiebern und ungläubig auf das Gelesene starren lassen, mich abgeschreckt, reflektieren lassen und mir die ein oder andere Weisheit mitgegeben. Aber worum geht’s?
Cleo (Mitte zwanzig) und Frank (Mitte vierzig) lernen sich an einem Silvesterabend im Fahrstuhl kennen und stürzen sich in eine Beziehung. Wir begleiten sie und diverse weitere Figuren, darunter Quentin, Anders, Santiago, Zoe und Eleonor über die nächsten zwei Jahre ihrer Leben und gehen mit ihnen durch Höhen und Tiefen.
Mellors schreibt überwiegend als allwissende Erzählerin aus den oben genannten, wechselnden Perspektiven. Eleonor ist die einzige Ich-Erzählerin. Wir begleiten die Figuren chronologisch, aber in teils grossen Sprüngen. So folgt auf das erste Kapitel, «Dezember» (2006), im zweiten Kapitel gleich der «Juni» (2007). Die Perspektivwechsel sorgen nicht nur für ein breiteres Spektrum in der Figurenwelt, sondern tragen auch zum Spannungsaufbau bei. Denn so lässt uns Mellors gerne am Ende eines Kapitels mit einer Figur «hängen», um dann zunächst mit einer anderen Figur fortzufahren. Die Figuren sind sehr unterschiedlich, hinsichtlich Beruf, Sexualität, Herkunft und Alter. Ihnen gemein ist jedoch, wie verloren sie sich in mindestens einem Aspekt ihres Lebens fühlen und dass sie alle sich nach etwas sehnen. Mellors betrachtet ihre ganz verschiedenen, teils schwierigen Beziehungen zu Partnern, Freundeskreis, Familie auf ungeschönte Weise.
Sprachlich haben mich vor allem die Beschreibungen von Drogenabstürzen enorm beeindruckt, aber auch der Humor, der insbesondere bei Eleonor zum Tragen kommt. Ihre Perspektive ist trotz schwieriger Erfahrungen selbstironisch, leicht, weise und hoffnungsvoll, teils direkt witzig, teils unterschwellig durch Gegenüberstellungen, Beobachtungen und vieles mehr.
Der Roman wirkt am Anfang möglicherweise oberflächlich, gewinnt aber ab dem zweiten Drittel stark an Tiefe, wie ich fand. Das Theatralikpotential ist hoch und doch stimmig. Die Welt der Figuren mit ihren Partys und Exzessen wird vielen fremd sein und doch nehmen auch wir viel daraus mit.
Ich bin völlig versunken in den Roman, habe mich mitreissen lassen in seine Tiefen und bin am Ende mit den Figuren wieder aufgetaucht. Verglichen wird Coco Mellors mit Sally Rooney, doch gefällt mir Mellors allein wegen ihrer Perspektivwechsel viel besser. Ein lesenswertes Debüt, das mir gut gefallen hat.