Vor dem Hintergrund des Tunnelbaus für die Gotthardbahn zwischen 1872 und 1882 entwirft Karin Seemeyer die fiktive Frauenbiografie von Helene: Die Tochter des Fuhrmanns Franz Herger verliebt sich in den Gastarbeiter aus Italien, den Mineur Piero.
Fremdenfeindlichkeit, unmenschliche Arbeitsbedingungen, soziale Ungerechtigkeiten werden mit diesen beiden Hauptfiguren des Romans eindrücklich aufgezeigt.
Schauplätze sind vor allem der Tunnelbau mit dramatischen Szenen: Unfälle mit Toten und Verletzten, der Streik der Mineure mit dem bewaffneten Einsatz einer Bürgerwehr, ebenfalls mit Toten und Verletzten. Mit Piero sind wir hautnah am Geschehen.
Helene lebt in einer traditionellen Familie in Göschenen. Ihr Vater führt ein Fuhrunternehmen, ein männlicher Nachfolger fehlt. Helene liebt die Pferde und die Arbeit im Familienbetrieb, den sie gerne einmal übernehmen würde. Als Frau ist dies dazumal nicht möglich.
Mit vielen Nebenfiguren schildert die Autorin das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der damaligen Zeit, in der Schweiz, in den Bergen und ganz besonders in Göschenen in den 1870er-Jahren.
Der Roman erzählt aber auch von grossen historischen Ereignissen: von der Planung des Tunnelbaus, vom Einsatz von Bohrmaschinen, Schwarzpulver und Dynamit, vom Durchstich des Tunnels und von der Eröffnung des Tunnels mit der ersten Eisenbahn-Durchfahrt. Diese Fakten hat die Autorin präzise recherchiert.
Helene und Piero haben mich öfters an die fiktiven Figuren in der Fernsehserie „Gotthard“ des Schweizer Fernsehens erinnert. Trotzdem mag ich das Buch. Es liest sich leicht und unterhält, gerade auch mit dem belehrenden geschichtlichen Stoff. Karin Seemayer versteht es, Historisches geschickt mit Fiktivem zu verweben.