Helga Schubert ist 80 Jahre alt, als sie mit diesem Buch auf ihr Leben zurückblickt, dieses und auch die Verarbeitung in Episoden und mehrheitlich sehr kurzen Kapiteln beschreibt.
Alles gut - das ist der Titel eines Kapitels, so lautet der letzte Satz des Buches und diese beiden Wörter tönen unterschwellig immer mit, auch wenn sehr viele Erlebnisse der Autorin überhaupt nicht gut sind.
Sie wird 1940 in der DDR geboren. Ihr Vater kommt im Krieg ums Leben, als sie ein Jahr alt ist. Fortan allein mit der Mutter, auch auf der Flucht, erlebt sie Krieg, das Regime in der DDR, den Fall der Mauer und die Wende. Sie beschreibt, wie sie darunter litt, nicht beschönigend, aber auch ohne sich selbst zu inszenieren als Regimekritikerin. Überhaupt setzt sie sich selbst nicht in Szene, betrachtet sich aber, in den hinteren Kapitel teils durch die Augen ihres pflegebedürftigen Ehemanns.
Die Flucht ist prägend und bestimmt traumatisierend für die junge Mutter von Helga. Liebe bekommt Helga nicht zu spüren, jedenfalls keine warme Liebe. “Hätte ich dich doch auf der Flucht erschossen” sagt die Mutter mehr als einmal zu ihr.
Dass die Mutter Helga, die da schwer krank ist und um ihr Leben ringt, mit der Pistole in der Hand sagt: “Wenn du jetzt stirbst, erschiesse ich mich.” ist fürchterlich, zeigt aber sicher auch die Verzweiflung der Mutter, die mit ihrem Kind flieht und es sicher auch beschützt hat.
Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter macht einen grossen Teil in diesem Buch aus - sie dringt überall durch und die Versöhnung mit der Mutter und der Lebensgeschichte ist das Thema dieses Buches, das auch zeitgeschichtliches vermittelt.
Dass Helga ihrem Vater und der ungeliebten Schwiegermutter ähnlich sieht, dringt oft durch: Du bist verrückt, schizophren, eitel wie deine Grossmutter, wenn du in den Spiegel siehst.
Im Kapitel “Eine Wahlverwandschaft” ist das Mutter-Tochter-Thema am ausgeprägtesten thematisiert. Sehr speziell, wie Helga Schubert in der Sprache mit den Akteuren “spielt”:
Die Tochter (die Ich-Erzählerin) meiner Mutter überlebte. …Meine Mutter versenkte ihre Pistole im nahen Fluss.
Einmal, als ihre Tochter zwanzig Jahre alt war und meine Mutter sechsundvierzig, sie noch in einer gemeinsamen Wohnung wohnten mit dem ersten Mann und dem angeborenen Kind der Tochter…
Welche Bedeutung der Glaube für die Ich-Erzählerin hat, kommt deutlich zum Ausdruck.
Auffallend sind die starken Anfänge und Enden der Kapitel, die meistens sehr kurz und gehaltvoll sind.
Aus dem Kapitel “Keine Angst”:
Ich bin ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind, ein Kind der deutschen Teilung.
…….
Die Mauer ist weg.
Die Mauer ist weg, stand auf der Süerr,aier-
So etwas kann man sich einfach nicht ausdenken.
Die Sprache ist immer schön, sehr gut gewählt, überrascht nicht aufgrund dramatischer Formulierungen sondern wegen der Tiefe, die die Autorin in einer speziellen Einfachheit erreichen kann. Ein in sich funkelnde, lebende Sprache und eine grosse Leseempfehlung.