Natürlich befinden wir uns nicht mehr im Jahr 1929. Vermutlich ist ein Grand Hotel heute auch nicht mehr dasselbe, das es damals war (oder ich war heute noch nie in einem). Aber Vicky Baums 90 Jahre alte Gesellschaftskritik greift noch immer – was für eine Leistung.
Handlungsort ist, wen wundert es, ein Hotel, in Berlin. Nacheinander nimmt Baum verschiedenen Menschen ins Visier: die kleine Sekretärin, die den Direktor auf die Reise begleitet hat. Sie weiss, was das bedeutet. Eine unglückliche Primaballerina am Ende ihrer Karriere. Ein nahezu mittelloser Baron, der sich hinter seiner adeligen Fassade verstecken kann. Ein todkranker Angestellter, der hier, auf den letzten Metern seines armen und würdelosen Daseins „mal richtig“ leben will – nur wie? Baum bringt all diese Figuren miteinander in Verbindung, erzählt von den zwischenmenschlichen Beziehungen, den inneren Abgründen, den kleinen und grossen Freuden. Ihre Sprache leuchtet, kein Wunder, dass der Roman es x-fach auf die Bühne und Kinoleinwände geschafft hat: man sieht alles sofort vor sich. Ein wirklich bemerkenswertes Buch, das sich immer wieder zu lesen lohnt.