Wenn man ein Buch, das man vor Jahrzehnten gelesen hat, erneut liest, so stellen sich nicht selten ein ähnlicher Effekt ein, wie man Freunde oder gute Kollegen nach Jahren wieder einmal trifft: Man erkennt wie verschieden man sich entwickelt hat und ist ein bisschen peinlich berührt und quält sich durch oder man spürt die “Schwingungen” und verbringt angenehme anregende Zeit miteinander. Dürrenmatts Klassiker ermöglichte mir Zweiteres, ich war sofort wieder fasziniert. Das Buch wurde in den 50er-Jahren geschrieben, und erfüllt sicher all die Anforderungen aktueller “political correctness” der heutigen Zeit nicht. Dürrenmatt schrieb es als Auftragsarbeit , er war erst Mitte Zwanzig, in Form eines Fortsetzungsromans, und es erst später wurde es als Buch veröffentlicht und wurde zum Klassiker für Deutschlehrer, wenn sie meinten, ihren Schützlingen eine spannende Lektüre vorsetzen zu wollen. Als ein ermordeter Polizist gefunden wird im kleinen Dorf “Lamboing” am Bielersee wird der altgediente und einzelgängerische Komissar Bärlach mit den Ermittlungen betraut. Der lässt sich den ehrgeizigen Tschanz als Assistent zuteilen, Bärlach ist nämlich offensichtlich todkrank. Gemeinsam ermitteln sie, der ehrgeizige moderne Tschanz und der altgediente unkoventionelle Komissar . Bald entdecken sie, dass der Ermordete Gast bei einer Abendgesellschaft bei einem reichen Bonvivant war, und zwar unter falschem Namen. Die zwei ermitteln nun im Umfeld des Gastgebers, einem gewissen Gastmann, einem Mann der auf Du und Du mit den Vertretern der Bundespolitik, der Justizpflege und den bedeutendsten Industriekapitänen ist. Bärlach kennt Gastmann von seiner dunklen Seite, sie haben vor Jahren in Konstantinopel eine Wette abgeschlossen, in der Gastmann erklärte, es werde ihm gelingen, vor seinen Augen das perfekte Verbrechen zu begehen. Dürrenmatt hatte ein klares Bild der damaligen Eliten, und lässt seinen Bärlach als Elefant im Porzellanladen der arrivierten Elite trampeln. Sein dienstfertiger Assistent Tschanz lässt sich von Bärlach treiben, er erkennt die Gefahr, die für ihn von Gastmann ausgeht. Denn auch er hatte ein Motiv: Der ermordete Schmied war eloquenter und gebildeter, stand seinem Ehrgeiz im Wege. Das fulminante Ende des Buches soll hier nicht verraten werden. Nur soviel, das Element der “Gerechtigkeit” und der oft unzuverlässigen Rechtspflege ist ein wichtiges Element. Und Dürrenmatt wäre nicht Dürrenmatt, wenn er mit seiner Spitzen Feder der betulichen Schweiz, dem Modernisierungswahn und dem oft geschlossenen Zirkel der Eliten in bissigen Bemerkungen an den Karren führe. Er war auch ein Geniesser, er war fähig Landschaft und Kulinarik so zu beschreiben, dass die Sprache lebt. Das Buch ist in jedem Fall eine Entdeckung für jene Wenige, die es nicht kennen und ein Garant für ein gepflegtes Wiederlesen nach Jahren.