Elisabeth Zott lebt in einer Zeit, in der Frauen hinter dem Herd stehen und die Männer das Leben aktiv gestalten. Sie will sich dem nicht fügen, sie will als Chemikerin ihren eigenen Weg gehen, beweisen, dass sie genauso viel kann wie ein Mann – und teilweise kann sie sogar mehr. Auch wenn sie mit schwierigen Startbedingungen in dieses Leben ging und dieses ihr immer wieder Knüppel zwischen die Beine wirft, gibt sie nicht auf. Dass sie als alleinerziehende Frau schlussendlich beim Fernsehen in einer Kochsendung landet, war so nicht vorgesehen, doch auch das hindert sie nicht daran, an ihre eigenen Ziele zu glauben. Im Gegenteil, sie nutzt das als Chance, auch anderen Frauen Mut zu machen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen.
«Aber sie hatte nun mal Ziele, und verdammt, wieso sollte sie den anderen bloss zuschauen? Zuschauen brachte niemanden weiter.»
Gedanken zum Buch
«Wenn Selbstzweifel Sie beschleichen… wenn die Angst sie packt, denken Sie immer daran, dass Mut der Grundstein für Veränderung ist. Und wir sind chemisch dazu angelegt, uns zu verändern. Fassen Sie also morgen beim Aufwachen folgenden Vorsatz: Keine falsche Zurückhaltung mehr. Kein Unterordnen mehr unter die Meinungen anderer, die Ihnen sagen wollen, was sie leisten können und was nicht. Und nie wieder zulassen, dass andere Sie in Schubladen stecken, in sinnlose Kategorien wie Geschlecht, Rasse, wirtschaftlicher Status und Religion. Lassen Sie ihre Talente nicht schlummern, Ladys. Gestalten Sie Ihre eigene Zukunft.»
Die Geschichte spielt in den 60er Jahren, in einer Zeit, in der Männer das Sagen haben, Frauen aber langsam aufwachen. Es wird eine Gesellschaft dargestellt, die in ihren Strukturen patriarchalisch ist, in der es nicht vorgesehen ist, dass Frauen sich in der Wissenschaft oder sonst öffentlich durchsetzen. Auf eine feinfühlige, witzige, teilweise ein wenig dozierende Weise legt die Geschichte den Finger in die Wunden, zeigt die Missstände auf, die auch heute noch teilweise spürbar sind, und ruft dazu auf, sich für eine Veränderung einzusetzen. Entstanden ist ein Buch, das als Aufforderung gelesen werden kann, sich als Frau nicht unterwerfen zu lassen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, die eigenen. Ziele zu verfolgen, sich nicht selbst unterzuordnen. «Eine Frage der Chemie» ist ein Lebensratgeber in Romanform, eine Geschichte, die wichtige Themen des Seins als Mensch, als Frau, als Gesellschaft aufgreift und auf eine zutiefst menschliche, berührende, warmherzige Art behandelt.
«Menschen werden sich immer nach einer einfachen Lösung für ihre komplizierten Probleme sehnen. Es ist sehr viel leichter, an etwas zu glauben, das du nicht sehen, nicht berühren, nicht erklären und nicht verändern kannst, als an etwas zu glauben, bei dem das alles möglich ist… An sich selbst, meine ich.»
Mit Elisabeth Zott ist Bonnie Garmus eine Protagonistin gelungen, die kämpferisch, ehrlich, mutig und authentisch ist. Eine Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt, die Probleme, die sich stellen angeht. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, spricht die Dinge an, nennt sie beim Namen. Und doch hat auch sie Bereiche, die sich in Schweigen hüllen, die sie in sich verschliesst, weil sie zu nah gehen, weil sie zu schmerzhaft sind, und auch weil sie weiss, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist. Elisabeth Zott ist eine Frau, die man ins Herz schliesst, der man sich verbunden fühlt, mit der man leidet, hofft und fühlt. Nie lässt sie einen einfach kalt, sie berührt auf eine unprätentiöse Art durch ihr ehrliches, pragmatisches, souveränes Auftreten. Dass ihr ein zweiter Protagonist an die Seite gestellt wird, ein zotteliger grosser Hund, der als gute Seele alles zusammenhält, aufpasst, dass nichts passiert, der mit feinem Gespür für Menschen weiss, wie es ihnen geht, wonach sie sich sehnen, und was sie von ihm brauchen, macht das Buch noch menschlicher.
«Die beste Methode, das Schlechte im Leben zu bewältigen, ist oft, es umzukehren, es als Stärke zu benutzen, nicht zuzulassen, dass das Schlechte dich bestimmt.»
«Eine Frage der Chemie» ist ein Buch, das Mut macht. Es ist ein Buch, das dazu aufruft, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und auch bei schwierigen Situationen nicht aufzugeben. Es ist ein Buch darüber, Missstände zu bekämpfen und sich ihnen nicht einfach zu ergeben. Es ist vor allem aber ein Buch, das berührt, das den Leser in den Bann zieht, das Resonanz erzeugt, indem es zum Lächeln und zum Weinen bringt.
Es gibt teilweise Längen im Buch, die den Erzählfluss zugunsten von halbtheoretischen Abhandlungen und zu langwierigen Situationsbeschreibungen unterbrechen. Es hätte der Geschichte gutgetan, diese zu kürzen. Trotzdem lohnt es sich, durchzuhalten, denn danach nimmt das Buch wieder Fahrt auf.
Fazit
Ein herzergreifendes Buch über eine Frau, die ihren Weg geht in einer Zeit, die das so nicht vorgesehen hat – berührend, unterhaltsam, klug.