Ist es zu verantworten, die zehnjährige Schwester mit der alkoholkranken Mutter zurückzulassen, um sich in der entfernten Grossstadt den Doktortitel in Mathematik zu verdienen. Dies ist wohl die alles entscheidende Kernfrage, um die sich dieses Buch dreht. Beziehungsweise zwei von drei Teilen. Im Dritten Teil steht der Entschluss bereits, und plötzlich drängen sich andere Fragen in den Vordergrund.
Das ist denn auch der grösste Schwachpunkt an der Geschichte. Die Antwort ergibt sich eigentlich von alleine. Auch wenn alle Familienmitglieder da eine Meinung gebildet haben wollen, so müsste sich Tilda ernsthaft fragen, inwiefern eine noch nicht urteilsfähige Schwester und wahrscheinlich nur begrenzt zurechnungsfähige Mutter in dieser Angelegenheit ernst genommen werden können und dürfen.
Der dritte Teil würde Raum bieten, um für die Frage eine zufriedenstellende Antwort zu finden und das Dilemma zu klären. Stattdessen bekommt man den Eindruck, dass plötzlich ganz andere Dinge (welche durchaus auch ihre Berechtigung haben) Tildas Seelenheil prägen. Das eigentliche Problem wird mit eingefärbten Phrasen schöngeredet, und der im Klappentext erwähnte «bedingungslose Zusammenhalt» scheint Risse zu bekommen.
In Teil 1 und 2 wird nicht zuletzt durch einen sehr erfrischenden und originellen Erzählstil an die schwierige Situation von Tildas Familie herangeführt. Wenn man bislang nicht mit Alkoholsucht in Berührung gekommen ist, mit diesem Buch ist es Charlotte Wahl gelungen, den dramatischen Nebeneffekten dieser Sucht ein Gesicht, oder besser eine hässliche Fratze zu geben. Man kann sich gut in Tilda hineinversetzen, die als Familienoberhaupt zwischen Uni, Job an der Kasse, dem Schwimmen und den Partybesuchen auch noch für ihre kleine Schwester Ida da zu sein hat. Nach zwei Teilen ist man richtig gespannt darauf, wie sie damit umgehen will, dass sie möglicherweise diese Stelle antreten kann.
Wie gesagt, der dritte Teil bleibt da viele Antworten schuldig. Die Entscheidung wurde getroffen, und andere Themen rücken in den Vordergrund. Das Ende lässt schliesslich viele Fragen unbeantwortet und mich als Leser unzufrieden zurück.