«Er entriss mich meiner Generation, aber ich gehörte nicht zu seiner.»
In den Fünfzigern beginnt sie eine Affäre mit einem 30 Jahre jüngeren Mann. Mittlerweile gut situiert führt er sie zurück in die sozialen Schichten ihrer Vergangenheit, sie lebt ihr erinnertes Leben neu. Dabei wird ihr mehr und mehr klar, dass sich das so nicht ewig leben lässt.
Gedanken zum Buch
«Wenn ich die Dinge nicht aufschreibe, sind sie nicht zu ihrem Ende gekommen, sondern wurden nur erlebt.»
Es war wohl Susan Sontag, die schrieb, sie müsse ihr Leben aufschreiben, um es zu verstehen. Oder war es Joan Didion? Auf jeden Fall finden sich so ähnliche Schreibmotive bei vielen Autoren und Autorinnen. Erst das geschriebene Wort verleiht dem Erlebten eine fassbare Realität, eine, die feststeht, im wahrsten Sinne des Wortes festgeschrieben und damit festgehalten ist. Liest man dieses Buch allein ohne Kenntnis der weiteren Schriften von Annie Ernaux, könnte man diesen Satz dahingehend interpretieren, dass das Leben bislang ein verflossenes, ein nur erlebtes war, dass es erst durch die Wiederholung und das Erinnern und nun Aufschreiben zu einem realen wird, das mit dem Akt des Aufschreibens auch zu einem Ende kommt.
«Ich war alterslos und trieb in einem halbbewussten Zustand zwischen verschiedenen Zeiten hin und her.»
Die Protagonistin befindet sich in ihrer Lebensmitte, viele Jahre liegen hinter ihr, einige vor ihr. Durch die Konfrontation mit einem jungen Mann, der in seinem Leben an einem anderen Punkt steht, lebt sie einerseits das Leben hier und heute mit ihm, aber sie er-lebt auch ihr vergangenes Leben neu durch ihre Erinnerung. In nur wenigen Sätzen, Gedankenfetzen, die aus dem Moment entstehen und zurück weisen in die Jugend, die Kindheit, entwickelt sich das Bild eines ganzen Lebens. Das unangepasste Mädchen von damals schimmert ins Heute hinein, die verflossene Ehe flackert in Bruchstücken auf.
«Er war Träger der Erinnerungen an meine erste Welt.»
Es ist ein Mäandern zwischen den Zeiten und auch zwischen den verschiedenen Welten, zwischen ihrer Welt hier und heute, seiner Welt heute und ihrer von früher. Wenn Erinnerungen zu präsent werden, kommt es mitunter vor, dass sich die Zeiten vermischen und nicht mehr klar ist, in welcher man sich gerade befindet.
«Mit ihm durchlief ich alle Alter des Lebens, alle Alter meines Lebens.»
In der gefühlten Zweisamkeit hören die Unterschiede auf, welche zu sein. Sie zeigen sich umso mehr im Alltag, am deutlichsten aber durch den Blick von aussen, wie er den beiden auf der Strasse, in der Öffentlichkeit begegnet. Einerseits wird durch diesen klischeebehafteten Blick bewusst, dass man sich ausser der Norm befindet, andererseits zeigt er nur deutlich, was tief drin immer wieder aufkommt: Das Gefühl, dass diese Verbindung nicht ewig dauern wird, zu verschieden sind die Welten. Herrschte am Anfang noch der Zauber des Neuen, des Wilden, auch des Verbotenen vor, hört dieser Zauber der Verklärung langsam auf und der Blick wird nüchterner.
Fazit
Ein kleines Buch mit grossem Inhalt, enthält es doch ein ganzes Leben in ungewöhnlicher Dichte.