Roland Baines Leben ist der Inhalt des laut Interviews persönlichsten Romans von Ian Mc Ewan. Dem Briten gelingt auch in diesem Buch Zeitgeschichte mit einerm ambivalenten Lebenslauf so zu verbinden, dass ich als Leser mich mitunter in einer Geschichtslektion wähne. Einer spannenden Geschichtslektion, denn Roland Baines taumelt durchs Leben von 1948 bis heute. Politisch pointiert, oft gespickt mit umwerfender Situationskomik die nicht selten in tragische menschliche Abgründe führt, erzählt uns Mc Ewan das Leben eines Mannes seiner Generation. So zum Beispiel will der Teenager Roland unbedingt noch Sex erleben, und bricht aus dem tristen Internatsalltag aus. Als vor der Kubakrise weite Teile der Welt glaubten, dass der dritte Weltkrieg beginne, ist das der Grund, dass der 14-jährige Roland die zehn Jahre ältere Miriam aufsucht, seine Klavierlehrerin, die ihm vor drei Jahren einen Kuss aufgezwungen hatte und ihn intim berührt hatte. Der erste Sex noch vor dem Weltuntergang? Mc Ewan gelingt es perfekt diese No-Future-Stimmung in diese Episode zu packen. Die Welt dreht sich dann doch weiter. Eine Beziehung, dominiert von Miriam, geprägt von gegenseitiger Hörigkeit beginnt. Eine toxische Beziehung, die ihn beziehungsunfähig macht? Roland verlässt in der Folge die Schule und lässt sich treiben. Eine weitere prägende Episode ist die gescheiterte erste Ehe Rolands. Alissa hat ihn und den kleinen sieben Monate alten Lawrence verlassen, um als Schriftstellerin weltberühmt zu werden. Roland schlägt sich mit Müh und Not durch, abhängig vom Staat, als allein erziehender Vater. Später arbeitet er als Barpianist, Tennislehrer und Texter für Grusskarten. Es reicht immer irgendwie für ein Leben. Je älter, desto besser situierter, desto sortierter sein Freundeskreis. Rund um die Familie von Roland, rund um die Familiengeschichten von Roland, seinen Eltern und jener seiner Frauen, die geprägt sind vom Weltgeschehen und ihrem Einfluss auf den ganz persönlichen Kosmos der jeweiligen Betroffenen. Da sind viele Themen, zuviel Stoff um tief zu gehen. Doch die facettenreichen Sprache und das Gespür für das Momentum im geschichtlichen Kontext zeugen von grandioser Könnerschaft des Briten. Mc Ewan ist ein gewiefter Erzähler, doch führt seine Episodendichte dazu, dass das ganze Buch die Lesenden fordert, es liest sich vor allem in den ersten Kapiteln zähflüssig. Wer durchhält, wird nach über 700 Seiten dankbar die Buchdeckel zuschlagen, denn zum Schluss hat man ein gelebtes Leben gelesen, das bewegt und fasziniert.