Susanna ist angenehm zu lesen und interessant. Besonders schön fand ich die Einordnung in den historischen Kontext: Wie lebt eine gut situierte Familie im Basel des 19. Jahrhunderts? Wie erlebten die Menschen die Elektrifizierung Ende des 19. Jahrhunderts? Capus schildert anschaulich und gleichzeitig historisch informiert, wie sich zum Beispiel die Wahrnehmung der Nacht durch die Strassenbeleuchtung veränderte.
Der Roman hat allerdings zwei Probleme: Das erste Problem wurde bereits in anderen Rezensionen angesprochen, wenn Leser*innen in ihren Erwartungen enttäuscht wurden. Tatsächlich lenken die Paratexte (der Text auf der Rückseite des Buchdeckels und auf der Innenseite) die Aufmerksamkeit auf ein Ereignis, das erst auf den allerletzten Seiten geschieht. Susanna trifft Sitting Bull! Das führt dazu, dass man beim Lesen immer auf dieses versprochene Ereignis wartet. Wann passiert endlich das, was auf dem Buchdeckel beschrieben wurde? Sobald sich diese Begegnung dann endlich ereignet hat, ist der Roman auch schon unvermittelt zu Ende.
In der Erwartungshaltung der Leser*innen scheint alles, was vorher passiert, weniger wichtig, schliesslich wurde ja in den Paratexten etwas anderes angekündet. Es besteht also ein Missverhältnis zwischen Paratexten und Roman. Denn was vorher passiert, ist durchaus nicht unwichtig und vielleicht der bessere Teil des Romans. Wenn der Text auf dem Buchdeckel einen anderen Fokus legen würde, wäre dieses Problem wohl schon gelöst.
Das zweite Problem betrifft die Protagonistin. Sie wird oft als unnahbar beschrieben, die Leser*innen können sich nicht in sie hineinversetzen. Dadurch ensteht die Vermutung, dass auch der Autor selbst nicht so genau wusste, wer seine Protagonistin eigentlich ist. Ob das nun schlecht ist, ist nicht gesagt. Es geht ja um eine historische Person, die Capus recherchiert hat, und von der er bestimmt nicht alles herausgefunden hat. Diese Distanz zu markieren, scheint mir nicht per se ein Minuspunkt zu sein. Allerdings lese ich schon nur bei einer kurzen Recherche auf Wikipedia zu Susanna eine etwas andere Charakterisierung als bei Capus (mag sein, dass Wikipedia falsch liegt). Susanna wird dort als Bürgerrechtsaktivistin für die Lakota beschrieben, die ein deutlich grösseres Engagement zeigt und weit besser vorbereitet ist als bei ihrem Fan-Ausflug im Roman, den sie mehr ihrem Sohn zuliebe als aus eigenen Interessen macht.
Dass der Sohn noch auf der Rückreise an einer Sepsis stirbt und Susanna für den Rest ihres Lebens aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwindet, wird im Roman elegant verschwiegen. Es würde vielleicht auch nicht zu Capus’ grundsätzlicher Einstellung »Das Leben ist gut« passen. Dieser immer mitschwingende Optimismus macht den Roman aber trotzdem lesenswert.