Woher komme ich, wer/was macht mich aus und hat mich zu dem Menschen werden lassen, der ich bin.
Wer ist die Frau, die meine Mutter war. Die Suche nach der eigenen Identität, indem sie die Identität ihrer Mutter spiegelt - schonungslos und ehrlich und eindrücklich wie von Annie Ernaux gewohnt geschrieben.
Das Buch fängt an mit dem Tod der Mutter - ein Bericht, der emotionslos anmutet, da aber nicht anhält sondern tief geht. Die Ich-Erzählerin schreibt zehn Monate lang in Erinnerungen an ihre Mutter. Dabei analysiert sie sehr tiefgründig das Wesen der Mutter und auch die Beziehung die sie zueinander haben. Die Tochter beginnt nach dem Tod der Mutter die Auseinandersetzung mit der Frau, mit der sie auf eine Art verbunden war wie mit keiner anderen Frau. Die Herkunft aus einer nicht bildungsnahen Familie, in kleinbürgerlichen, sehr bescheidenen Verhältnissen. Die Mutter, die sich ein besseres Leben für ihre Tochter wünscht und alles daran setzt, dass diese eine gute Bildung erhält. Die Zeit des Erwachsenwerdens und der Eigenständigkeit im Beruf und eigener Familie, die Verbindung zur Mutter bis zu deren Erkrankung an Alzheimer und schliesslich ihrem Ableben in einem kurzen, sehr dichten und bewegenden Roman, keine anklagende Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft und ihrer Mutter - fast nüchtern und doch emotional sehr bewegend geschrieben.
- "En écrivant je vois tantôt la “bonne” mère, tantôt la mauvaise"
- “Tu nous coûte cher.”
- “Elle était une mère commerçante”
- “Craignant de ne pas être aimée pour elle-même, elle a espéré l’être pour ce qu’elle donnerait”
- “Je n’entenderai plus sa voix. C’est elle, et ses paroles, ses mains, ses gestes, sa manière de rire et de marcher, qui unissaient la femme que je suis à l’enfant que j’ai été. J’ai perdu le dernier lien avec le monde dont je suis issue”.
Das Buch endet wieder beim Tod der Mutter und schlägt so einen Bogen. Wie sie das nur schafft, so zu schreiben, da es ganz offensichtlich aus einem eigenen Bedürfnis entsteht. Mir wurde beim Lesen auch klar - das Thema ist immer absolut im Fokus, ohne eine Abweichung. So handelt ein anderes ihrer Bücher von ihrem Vater und der Beziehung zu ihm. Sie scheint sich ganz in die Erarbeitung und Analyse des jeweiliges Themas eingeben zu müssen.
Diese Ausgabe folgt der Ausgabe von 1987 im ungekürzten Originaltext und enthält Übersetzungen der Ausdrücke, die nicht im “Dictionnaire fondemantal de la langue française” von Georges Gougenheimt verzeichnet sind. Es ist keine schwierige Sprache. Aber ausgezeichnet geschrieben!
Das in Deutsch geschriebene Nachwort wendet sich dem Buch im Detail zu und ist eine wertvolle Ergänzung, die sehr gut vertieft und literarisch erklärt.