Mit der Schilderung der Biographien von Sabina Spielrein (1886-1942) und Fritz Platten (1883-1942) gelingt Lukas Hartmann eine eindrückliche Schilderung der Geschichte und Politik zu Beginns des 20. Jahrhunderts mit all seinen Wirren.
Insbesondere die Beziehung der beiden Protagonisten zur Schweiz und zu Russland ist brisant.
Sabina, aus einer reichen Rostower Familie stammend, kommt 1905 aus Therapiegründen in die Burghölzliklinik in Zürich und lernt dort ihren Psychiater C.G. Jung kennen. Er heilt sie von ihrer Hysterie, verfällt ihr aber. Sie befreit sich aus dieser unseligen Abhängigkeit und studiert Medizin. Sabina wird zu einer angesehenen Psychiaterin und zieht völlig überraschend inmitten des Zweiten Weltkrieges nach Rostow zurück. Ihre Geschichte wird von Hartmann in chronologischem Ablauf beschrieben und nimmt den grösseren Teil des Buches ein.
Fritz Platten, der als einer der Anführer des Generalstreiks ins Gefängnis wandert, geht den umgekehrten Weg. Er zieht mit ein paar Getreuen, die von den Ideen des Kollektivismus überzogen sind, nach Russland und gründet eine Kolchose, ohne eine Ahnung von Landwirtschaft zu haben. Im Glauben, da er Lenin den Rückweg nach Russland in einem plombierten Zug ermöglicht und ihm sogar das Leben gerettet hat, ein freier Bürger zu sein, wird er von der Realität des stalinistischen Regimes eingeholt und in ein Lager gesteckt. Von dort blickt er 1942 melancholisch aber immer noch auf eine Wende hoffend auf sein Leben zurück.
Der Untertitel «Die Geschichte von Sabina und Fritz» lässt vermuten, dass sich die beiden treffen. Dem ist nicht so. Sie begegnen sich zufällig, ohne sich zu kennen, 1905 an einer Demo in Zürich.
Das tönt auf S. 117 aus Sabinas Sicht dann so: Einer, der zuvorderst ging, fiel ihr besonders ins Auge. Er trug einen weit geschnittenen Mantel, sein ungewöhnlich langes Haar wehte im Wind. Er war noch sehr jung, hatte weiche Züge, schien ergriffen zu sein vom Anliegen der Demonstration, skandierte mit einer Stimme, die einem Sänger hätte gehören können: Russland unsere Zukunft.
Dem Leser bleiben zwei gelungene Porträts von Figuren, die den politischen Wirren, ihren eigenen Ideologien und Illusionen zum Opfer fallen. Kontinuierlich hin- und hergerissen zwischen Rationalität, Sentimentalität und brutaler Realität, entscheiden sie meist falsch, und werden oft Opfer ihres Selbstbetrugs.
Verführt von ihren Idolen C.G. Jung und Lenin finden sie sich im wirklichen Leben nicht mehr zurecht.
Seine Stärken hat das Buch in der Recherche um die beiden Titelfiguren, in Fritz’ Liebe zu Berta, in den Parallelen und Gegensätzen ihrer Lebensläufe.
Hartmann verzichtet auf Sentimentalitäten.
Davon zeugen insbesondere die letzten paar Linien des Romans: S. 281: Soll der Autor die Geschichte nun zu Ende erzählen? Er tut es nicht, er kann es nicht. Lässt sich ein Massenmord erklären?....