Sabina Spielrein und Fritz Platten stehen im Zentrum von Lukas Hartmanns neuem Roman «Ins Unbekannte». Sie wird 1905 von ihren Eltern in die Klinik Burghölzli eingewiesen wegen ihrer hysterischen Anfälle und wird später selbst Psychiaterin, er kämpft für die Arbeiter, für den Kommunismus, ist ein mitreissender Redner, geht auf die Strasse und steigt innerhalb der Sozialdemokratischen Partei auf.
Hartmann erzählt als allwissender Erzähler in der dritten Person und in altmodisch anmutender Sprache, wechselt zwischen seinen beiden Protagonisten und springt in den Zeiten. Gemeinsam mit ihm begleiten wir Spielrein und Platten in den ereignisreichen Jahren 1905-1942, ziehen mit ihnen von der Schweiz über Umwege nach Russland, erleben den Aufstieg der Psychoanalyse, Kommunismus, Krieg und stalinistischen Terror.
Es dauerte, bis ich mit den beiden Figuren (und dem Roman) warm geworden bin, was an ihren Charakterzügen und vermutlich auch an der distanzierten Erzählstimme lag. Die grösste Stärke des Romans ist die historische Einbettung, bei der ich oft an Florian Illies Erzählung «1913» denken musste und die dem Roman Spannung verleiht. In Fritz Platten konnte sich der Autor gut hineindenken und lässt uns über ihn teilhaben an den politischen Ränkespielen jener Zeit in Bern. Stark war auch, wie er Plattens schwindenden geistigen Zustand am Ende durch (Tag-)Träume, Wiederholungen und innere Monologe darstellt.
Ein ruhiger historischer Roman über das Leben zweier Menschen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die turbulenten, gewalttätigen, schicksalsreichen Jahre jener Zeit.