Effingers erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie in Berlin über vier Generationen. Der Roman beginnt und endet mit einem Brief von Paul Effinger: 1878 schreibt der 17-Jährige an seine Eltern und berichtet vom grossen Aufschwung, von Kaiser und Bismarck. 1942 verabschiedet er sich von seinen Kindern und Enkeln vor der Deportation in der Hoffnung auf “einen schnellen Tod”. Eindrücklich entfaltet sich dazwischen ein Panorama von Gründerjahre bis zum Nationalsozialismus. Die Autorin, die in den 1920ern als Journalistin in Berlin arbeitete, schreibt abwechslungsreich und mitreissend, wechselt zwischen Schauplätzen und Perspektiven, bewahrt eine gewisse Distanz, bleibt dabei aber immer empathisch und neugierig. Sie kommt den Protagonist:innen nah, aber lässt sie doch selbst sprechen, so dass ich als Leserin fast das Gefühl habe unmittelbar in einen Austausch zu kommen. In Gesprächen, Schilderungen von gemeinsamen Familienessen, Theaterbesuchen, Arbeit und Ausbildung, aber auch Beschreibungen von Häusern, Inneneinrichtungen und Kleidung werden vergangene Zeiten greifbar. Familienmitglieder werden über Jahre begleitet, ihre Lebenswelten, Hoffnungen und Erfahrungen beschrieben, wobei mir manche Personen vertrauter und näher waren als andere. In den Handlungen und Gesprächen spiegeln sich politische Ereignisse wieder, die Versuche der Frauen nach Selbstbestimmung, der Mut aus vorgeschriebenen Rollen auszubrechen, ebenso die Spannungen zwischen den Jungen und den Alten.
In den knapp 900 Seiten gibt es zwischendurch auch Längen, aber insgesamt hat mich der Roman doch sehr mitgerissen und berührt.