Wir bewegen uns im London der späten 60er-Jahre. Alles ist im Umbruch, und Katalysator dieses Wandels ist die Rock- und Popmusikszene. Manager Levon Franklander formt mit dem Lead-Bassisten Dean Moss, der Folksängerin Elf Holloway, dem Drummer Griff und dem zweiten Bass- Gitarristen Jasper de Zoet eine Band, die mit psychedelischem Rock die bekannten Dimensionenen der Branche sprengen soll. Utopia Avenue, so der Name der Band, kämpft sich von Provinzbühnen in die erste Liga der neuen interessanten Bands. Die Songs der Band werden von Dean, Elf und Jasper geliefert. Diese Songs fallen so unterschiedlich aus, wie ihre Autoren aus verschiedenen Milieus stammen. Ihre Herkunft, ihre Geschichte und ihre Erfahrungen prägen die Songs. Dean entstammt wie Griff der Unterschicht, sein Vater ein reizbarer, tobsüchtiger und alkoholabhängiger Despot, den die musikalische Berufung seines Sprösslings in keinster Weise interessiert. Der frühe Tod der Mutter hinterließ eine Narbe, die nie verheilt ist. Elf stammt aus einer grossbürgerlichen Familie, deren Oberhaupt die Abneigung gegen die langhaarigen Bandkollegen kaum verbirgt. Elf behauptet sich als starke Frau in einer Männerbastion. Jasper, der die Band mit furiosen Gitarrenriffs stilbildend prägt, kämpft mit Dämonen, die als bipolare Störung behandelt wurden. Als uneheliches Kind einer unerhört reichen Reederfamilie ist der introvertierte Kopfmensch oft in den Begegnungen bei Backstage-Partys überfordert. Griff ist der Drummer, der alle Klischees von Sex, Drugs und Rock’n Roll erfüllt. Der Durchbruch gelingt und die (erfundene) Band erobert die Charts und die Plattenläden. Die eigentliche Stärke des Romans sind die Geschichten, die sich aus den unterschiedlichen Biographien ergeben, ihre sehr persönlichen Schicksale, die das Projekt Franklanders immer wieder gefährden. David Mitchell lässt auch immer wieder die Ikonen jener Zeit durch die Story stolpern, selten nüchtern, oft stoned, und die Dialoge daraus entlarven auch die dunklen Seiten dieses gesellschaftlichen Wandels. Zum Beispiel: Janis Joplin unterhält sich mit Elf an einer Party von Leonard Cohen über den Nebeneffekt der sexuellen Befreiung, dass Frauen oft als Freiwild betrachtet werden und in der Szene kaum ernst genommen werden. Diese über 700 Seiten sind voll von packenden menschlichen Schicksalen, ein eindrückliches Porträt einer entfesselten Generation, man fiebert bei den Auftritten von Utopia Avenue unweigerlich mit.
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