Jostein Gaarder legt mit diesem dünnen Band dicke Post vor! - Es handelt sich dabei um den sog. ‘Codex Floriae’, den er aus dem Lateinischen übersetzte und mit Fussnoten zu Zitaten und Wendungen ergänzte.
Die Blätter selber fand er auf einem Flohmarkt in Buenos Aires, aufbewahrt in einer Blechdose - die er für eine Unsumme erstand! - Dabei handelt es sich um eine Abschrift, wohl aus dem 16. Jahrhundert und nicht um das Original. Von daher ist auch nicht klar, ob es das Original tatsächlich gab - oder ob es reine Fiktion ist… Und wenn! Grossartig wie die (ehemalige) Konkubine des hoch angesehenen Aurel Augustinus von Hippo Regiae die Stimme erhebt und ihm mit Brillianz und Wucht entgegen tritt - mitunter auch in bitterem, spitzem und spöttischem Ton. Dass er sie sitzen liess, kann sie nicht auf sich sitzen lassen! Und als sie in Karthago von einem Priester die sog. ‘Bekenntnisse’ des Augustinus zum Lesen erhält, bricht der Damm:
Sie schreibt einen Brief, hilft dem Bischof auf die Sprünge, wo ihn das Gedächnis täuscht, wo seine Erinnerungen Lücken aufweisen - ja, sie zerzaust gar seine grossartigen Ansichten über die Enthaltsamkeit, die Gottesliebe, wie er sie versteht - und das sowohl mit ihren Ansichten als auch mit Zitaten grosser Griechen.
Sie selbst ist Katechumene - stellt aber gleich zu Beginn klar, dass sie sich wohl kaum taufen lassen wird. Aber sie will WISSEN, was den Bischof - ihr ehemaliger Geliebter, mit dem sie gar ein Kind hatte - umtreibt, was ihn denn so verblendete.
Dabei wird klar und offensichtlich:
Florias Gott ist menschenfreundlicher als jener des Augustinus, sie wittert nicht überall Sünde und Verrat, sieht auch in Sinnenfreude und Lust Gaben Gottes. So heisst es etwa (S. 55):
Ich selber freue mich über die Vorstellung, dass der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, eben auch der Gott ist, der Venus erschaffen hat.
(…) dass ich vielleicht auch daran glaube, dass Gott es verurteilt, wenn wir allen Freuden, aller Wärme, aller Zärtlichkeit den Rücken kehren.
Ja, sie redet Augustinus gar ins Gewissen (S. 56):
Wie sehr du dich auch drehst und wendest, auch du hast ‘irdische Gefühle’, falls du überhaupt Gefühle hast, meine ich, denn was für Gefühle solltest du schon haben, wenn nicht irdische?
Oder zitiert einen der Griechen, um dem Augustinus den Spiegel vorzuhalten (S. 61):
Der Wolf schlüpft nur in ein anderes Fell, gnädiger Bischof, nicht in ein neues Wesen.
Ihr Gottesbild ist weit und empathisch - auch wenn sie sich nicht als gläubig (im getauften) Sinne bezeichnen würde! (S. 65)
Vielleicht gibt es keinen Gott, der um unsere armen Seelen feilscht. Und vielleicht gibt es einen liebevollen Gott, der uns für die Welt erschaffen hat, damit wir in ihr leben.
Floria schreibt gegen Ende des Brief selbst, dass sie davor fröstle, dass einst eine Zeit kommen mag, in der die Kirchenmänner den Frauen wie ihr, das Leben nehmen werden, weil sie sie erinnern, dass sie Leib und Seele verleugnen, 'für einen Gott, der den Himmel über euch und dazu eine Erde geschaffen hat, auf der ihr doch tatsächlich von uns Frauen geboren werdet. (S.66)
Ob ‘echt’ oder nicht - nach der Lektüre kann ich nur sagen: das ist bedeutungslos! - Denn hier spricht eine mutige Stimme, die etwas zu sagen hat - auch wenn es verletzte Liebe, mitunter Eifersucht auf die herrische Schwiegermutter ist, die sie antreiben. In diesen Worten können sich wohl viele der von Kirchenmännern marginalisierten, gehörnten, unterdrückten… Frauen wiederfinden - …bleibt nur zu wünschen, dass Augustinus DIESEN Brief gelesen hat - und dass er auch heute (von den Kirchenmännern) zu Herzen genommen wird! (….Ja, eigentlich sollte der Text Pflichtlektüre angehender Theologen, Pfarrer, etc. sein!!!)