Biografie - fehlt in der Auswahl
“Deine Freundschaft, das ist mein Leben”. Helene Bresslau und Albert Schweitzer lernen sich an einer Hochzeit kennen; sie ist 19 Jahre alt und Albert 23 Jahre. Die Beziehung zwischen Helene und Albert basiert auf ihrer Überzeugung, dass sie nicht nur für ihre eigenen Interessen leben können, sondern auch für andere, hilfsbedürftige Menschen verantwortlich sind. Im Laufe der Jahre entwickeln Helene und Albert eine sehr private Religion, deren Fundament ein tiefer persönlicher Gottesbezug ist. Bevor sie sich für ein gemeinsames Leben entscheiden, sind sie 10 Jahre eng befreundet und pflegen einen regen Briefwechsel. Während Albert bereits sehr früh wusste, dass er sich für die Pariser Missionsgesellschaft in Afrika engagieren will, sucht Helene Bresslau eine erfüllende Aufgabe, die nicht der damaligen Bestimmung einer Frau entspricht. Mit viel Wille, Energie und der moralischen Unterstützung ihres Vaters, der es nicht “als Niedergang empfindet, wenn seine Tochter berufstätig ist” engagiert sie sich sowohl in der praktischen wie in der theoretischen Arbeit. Sie wird tatkräftig unterstützt von Albert, der unbedingt will, dass Helene sich verselbstständigt und unabhängig wird. Mehrmals ermuntert er sie auch zu heiraten, da er selber eine Heirat resp. ein Leben mit ihm in Afrika keiner Frau zumuten kann.
Helene Bresslau studiert Klavier, Gesang und Musiktheorie und gibt Nachhilfeunterricht in Französisch um Geld zu verdienen. Später studiert sie Kunstgeschichte, betrachtet dieses Studium jedoch als “kultivierten Zeitvertreib”. Sie ist Lehrerin in England, merkt jedoch, dass ihr Pädagogik nicht liegt. Sie macht Übersetzungen und lernt Russisch in Russland. Sie fühlt sich bald immer mehr von der Sozialarbeit angezogen und engagiert sich in der Waisenfürsorge. In den vier Jahren ihrer Tätigkeit im Waisenamt hat sich das “Strassburger Armenpflegesystem zum fortschrittlichsten Sozialsystem in Deutschland entwickelt, das später Vorbild für die Sozialgesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland wird”. Sie arbeitet im Krankenhaus um sich das Wissen als Krankenpflegerin anzueignen und ein weiteres Mal um ihre medizinischen Kenntnisse zu vertiefen. Sie setzt sich für bessere Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals ein und gründet zusammen mit einer Freundin ein Mütterheim mit der Begründung ihrer ethischen und sozialen Verpflichtung. Bald nachdem sie Albert Schweitzer kennengelernt hat, unterstützt sie ihn auch in seinen wissenschaftlichen Arbeiten.
Immer wieder über lange Zeit getrennt, aber immer über einen intensiven brieflichen Austausch und das gemeinsame Ziel sehr eng verbunden, überwinden die beiden vielfältige Hindernisse und Einschränkungen (Helenes Eltern waren jüdischer Konfession, Lungenkrankheit, Erster und Zweiter Weltkrieg, Reisen in Europa und USA zwecks Sammlung von Spendengeldern mittels Vorträgen und Konzerten).
Genau elf Jahre nach Beginn ihrer Freundschaft brechen Helene und Albert in das grosse Abenteuer ihres Lebens auf. Angekommen in Lambarene hat Helene selbstständig die Betreuung der Kleinkinder mit Ernährungsstörungen übernommen, hat den Haushalt geführt, ebenso die Hühnerzucht und den Garten zur Selbstversorgung. In der gemeinsamen Arbeit mit ihrem Mann hat sie zum ersten Mal das Gefühl, ihre Bestimmung ganz und gar zu erfüllen.
Wegen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit werden Schweitzers bei Ausbruch des ersten Weltkriegs 1914 in der französischen Kolonie automatisch als Kriegsgefangene behandelt. Eingesperrt in einer kleinen unbeheizten Zelle in Bordeaux leidet die Gesundheit von beiden. Helene wird sich von ihrer Erkältung nie mehr ganz erholen und Albert erleidet eine Darmerkrankung, von der er sich erst nach zwei Jahren erholt.
Aufgrund ihrer Krankheit kann Helene ihren Mann 1924 nicht mehr nach Lambarene begleiten. Darunter hat sie sehr gelitten und dies kommt in den vielen Briefen zum Ausdruck. Beispiel: "Lieber, du hast wohl nie gewusst, wie mit Dir mein Leben von mir ging – nicht erst jetzt. Aber jetzt fühle ichs wie eine Wunde in der Tiefe, aus der langsam alle Kraft versickert – ob sie sich jemals schliessen wird? Sie ist zeitweise so schwach, dass sie sich auch nicht wie gewünscht um ihre mittlerweile fünfjährige Tochter kümmern kann.
Die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg sind denn zusätzlich geprägt und belastend durch die Flucht verschiedener jüdischer Familienmitglieder. Mitten im Krieg kann Helene nach aufwändiger Vorbereitung wieder nach Lambarene reisen. Sie kehrt nach ein paar Jahren zurück nach Europa, ebenso ihr Mann, nachdem er die Leitung für das Spital an seinen Nachfolger übergeben konnte. Die folgenden Jahre sind geprägt durch verschiedene Auszeichnungen für Albert Schweitzer (Friedensnobelpreis z.B.) und damit einhergehende Reisen und Vorträge, die insbesondere für Helene sehr kräfteraubend sind. 1955 begleitet Helene ihren Mann noch einmal nach Lambarene und kehrt 1957 sehr geschwächt ein paar Tage vor ihrem Tod in Zürich nach Europa zurück.
Das Titelbild passt ausgezeichnet zur Geschichte: sowohl Helene wie Albert schauen erwartungsvoll und aufmerksam in die Kamera. Der Schreibstil ist einfach und die Kapitelüberschriften sind hilfreich bei der Orientierung.
Dieses Buch empfehle ich allen, die interessiert sind an Geschichten mit starken und aussergewöhnlichen Frauen anfangs bis Mitte 20. Jahrhundert.