Man soll nichts kritisieren, was man selber nicht besser machen könnte. Insofern tue ich mich schwer, dem literarischen Pionier Zweig hier nur drei Sterne zuzuteilen.
Zweig hat sich die Psychoanalyse literarisch zu eigen gemacht. Sein Schreibstil ist eine Mischung aus Thomas Mann, Kleist (verschachtelte Sätze!), Rilke und allen anderen berühmten Autoren der Jahrhundertwende. Diese, besonders Freud, Hofmannsthal und Rilke, reagierten zuweilen genervt auf Zweigs Werk, dessen Schreibstil etwas Unterwürfiges an sich hat, so als wolle er sich bei seinen Vorbildern anbiedern. Die Novelle “Angst” etwa ähnelt doch sehr Freuds sensationell eindringlicher Beschreibung eines Falls von Paranoia, bei dem sich eine Frau während eines Schäferstündchens sogar von den Möbeln beobachtet fühlt. Die Novelle kommt einem irgendwie abgeschrieben vor.
Zweig macht die Obsessionen seiner Figuren stilistisch erfahrbar; die Enge, in der sie sich bewegen, wird hautnah spürbar. Und dennoch fehlt mir die Um- und Mitwelt der Figuren. Zweig, der sich doch als Europäer verstand, lässt in seinen Geschichten die Geschichte aussen vor; der grosse Weltraum schrumpft auf die gedankliche Endlosschleife einer einzigen Figur zusammen, die sich zu einem auswegslosen Labyrinth entpuppt - eine Enge, der er als Weltreisender doch entkommen wollte. Da sind mir Dostojewskis Romane doch lieber, denn ich erfahre sowohl etwas über den Einzelnen als auch etwas über das grosse Ganze. Das Besondere ist im Allgemeinen enthalten und das Allgemeine im Besonderen. Leider ist das in dieser Zweig-Novelle nicht der Fall.