Die Introspektion von Männerfiguren scheint das Leitmotiv in Peter Bieris alias Pascal Merciers Schaffen zu sein. “Nachtzug nach Lissabon” und “Perlmanns Schweigen” handeln von diesem Thema. Trotz gegenteiliger Behauptung des Autors, spielt auch in der Novelle “Lea” die männliche Gedanken- und Gefühlswelt die Hauptrolle.
Leitfaden der Geschichte ist die Begegnung zweier Berner, Adrian Herzog, dem Erzähler und Martijn Van Vlies, Leas Vater. Beiden Männern gemeinsam ist die Entfremdung von ihren jeweiligen Töchtern, aber auch die Selbstentfremdung. In Cafés und Parks erzählt Van Vlies die Geschichte seiner Tochter Lea, die achtjährig ihr musikalisches Talent entdeckt, sich aber nach und nach in ihre eigene Welt zurückzieht. Gekonnt flicht Mercier Rückblenden und Vorausdeutungen in die Gesprächsverläufe der beiden Männer ein. Dabei erhält Van Vlies zuweilen gespenstische Züge, verschwindet von jetzt auf gleich zur Toilette und taucht nach einer langen Rückblende wieder bei Herzog auf. Van Vlies’ Gesprächsbeiträge sind durch Anführungs- und Schlusszeichen gekennzeichnet und doch stellt sich beim Lesen das seltsame Gefühl ein, Herzog habe sich diese Begegnung bloss eingebildet, um damit seine eigene Tochterbeziehung aufzuarbeiten.
Insgesamt: Pascal Mercier in Höchstform. Ein dichtes, nachdenkliches, hochphilosophisches Werk über Autonomie, Abhängigkeit und die Unvermeidbarkeit, sich trotz guter Absichten, in Selbstvorwürfe und Zweifel zu verstricken.