Ein sensibler, wehleidiger Ich-Erzähler, der sich an der Beziehung zu seiner Mutter und der gescheiterten Ehe seiner Eltern abarbeitet? Das ist weder neu noch innovativ, der Stoff wurde schon unzählige Male verarbeitet. Maxim Biller ist jedoch ein Meister seines Fachs, er serviert uns seinen Stoff mit ironischen Spitzen gegen sein Metier, lässt die sowjetische Willkür gegenüber Minderheiten wie Juden miteinfliessen und präsentiert uns seine “Mama Odessa” als listige Möchtegerne-Schriftstellerin mit einem Bucherfolg, voller Sehnsucht nach der heute zum Kriegsschauplatz degradierten ehemaligen Hafen- und Kulturmetropole am schwarzen Meer. Der Reiz des Buches ist das jüdische Milieu, die spürbare Sehnsucht nach der erwünschten und der verlorenen Heimat. Ähnlich beeindruckend die Story vom georgischen Vater der schriftstellernden Mutter, der in Odessa zurück geblieben ist und der sich in wuchtigen Bildern seine Kriegstraumata von der Seele malt. Die Story mit dem Giftanschlag auf die Mutter und den zionistischen Vater erinnert an die Anschläge auf russische Systemkritiker wie Nawalny. Stück um Stück tauchen wir in eine Exilantenwelt, in eine Familie, die auseinander fällt und eine Mutter-Sohn-Beziehung, die geprägt ist von sehr viel Selbstmitleid aber auch gegenseitigem Respekt. Der Vater verließ die Heimat mit dem Wunsch, ins gelobte Land Israel zu emigrieren. Nun lebt er mit einer deutschen Frau, von seiner Ex-Frau als Nazi-Hure bezeichnet. Es sind gebildete Leute, die da in Hamburg stranden, in einem vormals jüdischen Viertel und mit anderen gebildeten jüdischen Exilanten die Liebe zu russischer Literatur und Kulinarik teilen. Das Trauma des Exils, die so permanent über der Familie wie eine schwarze Wolke schwebt, prägt die Familie und entzweit die Eltern. Da wird zwischen den Zeilen plastisch erlebbar, wie sehr Herkunft und der jüdische Hintergrund eine Familie und ihr Selbstverständnis prägen. Dem Autoren gelingt es durch so liebevoll bösartig gestaltete Protagonisten und sehr viel Selbstreflexion das eigene Milieu in zersetzender Weise zu karikieren. Biller zelebriert seinen feinsinnigen Humor und seine gewohnt selbstzerfleischende Identitätssuche mit überragender Wucht auch in diesem Familienroman.