NB: Meine Rezension fusst auf dem französischen Original: «Présence de la mort», dessen Titel viel prägnanter ist, denn was der Verlag uns als hundertjähriges Buch zur Klimakatastrophe auflegt, ist in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung des Menschen mit seinem unweigerlichen Tod.
Geschrieben nach dem Hitzesommer 1921 geht Ramuz von einem Unfall im Gravitationssystem der Erde aus und verrät mit den ersten Zeilen des Romans bereits das Ende.
Anhand von 30 Kapiteln leuchtet er die Welt der Menschen des Lavaux, der Region um den Lac Léman und Savoyend aus.
Er schildert mit einmaliger Sprachgewalt das humane Dilemma des Lebens im Angesicht des Todes.
Les hommes avancent à chaque instant, main dans la main avec leur propre mort, mais cherchent à tout prix à oblitérer cet état de fait par leurs habitudes et leur croyance, par un intérêt pour l’immédiat et le détail (p.86)
Die Menschen leben jeden Augenblick vereint mit dem Tod, aber versuchen verzweifelt diese Tatsache zu verdrängen, sei es durch Rituale, sei es durch den Glauben, oder indem sie sich in Details und in das Hier-und-Jetzt flüchten. (frei übersetzt)
Dazu bedient sich der Westschweizer Autor vieler Einzelschicksale.
Als steuerndes Stilmittel der Erkenntnis der Betroffenen und dem immer schnelleren Fortschreiten der Katastrophe findet sich eine bewusst angelegte Konfrontation von Stille einerseits und den Geräuschen der Natur und der Menschen als Gegenpol.
Die Stille als Fehlen der Sicherheit der gewohnten Töne der Natur zwingt die Menschen einzusehen, dass etwas ganz Grosses am Ablaufen ist.
Sie reagieren mit Ungläubigkeit, verdrängen die Zeichen, suchen Geborgenheit in angelernten Tätigkeiten und im gewohnten Tagesablauf.
Im Verlaufe der zunehmenden Bedrohung zweifeln sie immer mehr am Fortgang des Bisherigen und reagieren entweder mit hartnäckigem Festhalten an Bewährtem (Gebrüder Panchaud, die Fischer mit ihrem Boot), ignorieren alle Zeichen von Hitze und Trockenheit, bis alle Auswege verdorrt sind.
Andere lehnen sich auf, hauen auf die Pauke, veranstalten ein Chaos, ziehen sich in eigene Festungen zurück oder suchen Zuflucht in der Ferne, im Wasser oder in der Höhe.
In der immer schneller sich drehenden Eskalationsspirale finden selbst Revolution, Plünderung, Raub und Mord Platz.
Inmitten all dieser sorgfältig, oft wiederkehrenden Porträts, behält einer die Ruhe und die Übersicht. Der Schriftsteller bewundert die Schönheit der Welt und erschafft sie mit seinen Beschreibungen quasi von neuem.
Der Schluss sei nicht verraten.
Nur so viel: Nebst einer stimmgewaltigen Sprache, dem ausgeklügelten Spiel zwischen Tonalität und Stille, finden sich auch viele literarische Anleihen: So etwa: «Le promeneur solitaire» von Rousseau, Das Abendmahl, Die Geschichte von Dädalus und Ikarus, Der Auszug der Israeliten und andere mehr. Die vielen Glockenschläge und Uhren, die ticken, lassen selbst den Titel «Wem die Stunde schlägt» — so hätte der Titel ja auch heissen können — anklingen.
Fazit: ein ausserordentliches, absolut lesenswertes Buch; ein Muss
Der Beweis, wieso C.F. Ramuz in die Pléiade aufgenommen worden ist.
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