Warum gebe ich diesem Fleckerlteppichbuch drei Punkte? Ich glaube, wegen der Auer Lilli, der Kramerladeninhaberin, die auf Seite 172 daherkommt und deretwegen es mich gewürgt hat vor Sympathie und vor Dankbarkeit, dass es solche Menschen noch gibt. Ich musste an ein Gedicht von Gottfried Benn denken, bei dem es mich auch immer würgt:
Ich habe Menschen getroffen, die,
wenn man sie nach ihrem Namen fragte,
schüchtern — als ob sie gar nicht beanspruchen könnten,
auch noch eine Benennung zu haben —
„Fräulein Christian“ antworteten und dann:
„wie der Vorname“, sie wollten einem die Erfassung erleichtern,
kein schwieriger Name wie „Popiol“ oder „Babendererde“ —
„wie der Vorname“ — bitte, belasten sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!
Ich habe Menschen getroffen, die
mit Eltern und vier Geschwistern in einer Stube
aufwuchsen, nachts, die Finger in den Ohren,
am Küchenherde lernten,
hochkamen, äußerlich schön und ladylike wie Gräfinnen —
und innerlich sanft und fleißig wie Nausikaa,
die reine Stirn der Engel trugen.
Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muss nun geh‘n.
Ein anderer Grund für die fünf Punkte war die Tatsache, dass man in diesem Buch einen Kampf live miterleben kann, nicht Samuel P. Huntingtons „Kampf der Kulturen“, von dem der Ex-Steinewerfer und Ex-Vizekanzler Joschka Fischer so fasziniert war, sondern den Kampf der Gehirnhälften, den der Hirnforscher Iain McGilchrist in seinem Buch „The Master and His Emissary – The Divided Brain and the Making of the Western World“ beschreibt. Die rechte Gehirnhälfte, die Hemisphäre des Glaubens, sagt der Autor, habe ihre angeborene Vorherrschaft in der Reformation und dann vor allem in der Aufklärung an die linke Gehirnhälfte, die Hemisphäre der Sprache und der Selbstermächtigung, verloren. Dadurch sei das Gehirn völlig durcheinander gekommen, und daraus resultieren „die Blöden“, von denen dieses Buch handelt, und das sind nicht die Einfältigen der Bergpredigt („Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich“), sondern die Verkopften, die Eingebildeten, die Egoisten, die Berechnenden.
Und diese Leute denken, sie könnten all unser Leben mit ihren Gesetzen, die sie schreiend in ihren Parlamenten durchsetzen, regulieren, weil ja die Schwarmintelligenz der Demokraten unfehlbar sei. Aber eben diese Schwanzintelligenz hat seinerzeit auch einen Adolf Hitler an die Macht gebracht, diese Mischung aus Überheblichkeit und kollektivem Egoismus.
Aber die Gesetze, die von Menschen gemacht werden, können gegen die Naturgesetze nicht anstinken. Und auch psychologische Gesetze und phylogenetische Verhaltensanlagen sind Naturgesetze. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat das schon vor 50 Jahren in seinen Vorträgen über „Die acht Totsünden der modernen Menschheit“ zum Ausdruck gebracht, und er hat eine „Systemganzheit von ererbten und erworbenen Verhaltensweisen“ gefordert.
Hier kommen wir zur Religion, die ja schon im Titel dieses Buches angesprochen wird. Religionen haben immer wieder versucht, diese Systemganzheit zu verwirklichen. Der Mitbegründer des Christentums, Paulus hat gesagt „Das Gesetz (eigentlich „der Buchstabe“) tötet, der Geist aber macht lebendig.“) Jesus selber twitterte gegen die Vertreter des Buchstabens, die Pharisäer, in einem Ton, der Donald Trump vor Neid erblassen ließe: „Natterngezücht“, „übertünchte Gräber“ etc.
Auch das Genderproblem hat die christliche Religion genial gelöst, zumindest im katholischen Tell von Bayern, denn dort ist Gott eine Frau, wenngleich die Pharisäer-Theologen unserer Zeit das vehement bestreiten würden. Aber gibt es in München nicht eine Frauenkirche und den Marienplatz mit einer kosmischen Frau und Mutter, die auf der Mondsichel steht? (Das und den goldenen Barockstil haben wir übrigens der Gegenreformation des Mystikers Ignatius zu verdanken. Eine Frau Käsmann hätte das nicht hinbekommen.)
Wenn Monika Grubers Mutter schulterzuckend über den christliche Gott sagt „Gott! Mei, der is‘ auch nicht mehr das , was er einmal war!“ dann mag sie vielleicht den Gott meinen, den die Theologen sich zurechtgeschnitzt haben. ABER: ER/SIE/ES ist heutzutage weltweit und in vielen Gestalten aktiv, in Indien gibt es sogar mehr weibliche Gestalten von Gott als männliche. Und es kann sein, dass ER/SIE/ES eine mächtige Gegenaufklärung in Gang setzt oder schon gesetzt hat, von der im Prinzip auch dieses Buch zeugt.
Auch die Existenz von Donald Trump zeugt davon, und man mag den Verdacht haben, dass er eigentlich kein Politiker ist, sondern ein Comedy-Kollege von Monika Gruber ist, der den ganzen Irrsinn an die Wand fährt. Seine Tochter Ivanka praktiziert übrigens Transzendentale Meditation:
„… Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort!“
(Novalis)