Italienisches Temperament trifft auf nordische Kühle. Das jedenfalls verspricht der neueste Fall von Mamma Carlotta, «Treibholz» von Gisa Pauly.
Eine vermeintliche Mörderin wird unschuldig aus dem Gefängnis entlassen. Ihr Mann hat seine damalige Aussage auf dem Sterbebett zurückgezogen und gestanden, er habe sich nur an ihr rächen wollen. Wird Mamma Carlotta ihrem Schwiegersohn, Erik, helfen können, den Fall fünf Jahre später erfolgreich zu lösen? Wird sie in der Zwischenzeit ihre Enkelin, Carolin, davon überzeugen können, dass ihr überhasteter Umzug nach Hamburg zu dem von allen ungeliebten Freund ein Fehler war und sie besser in den Schoss der Familie zurückkommen sollte? Und werden sie über all dem verhindern können, nicht dem Wahnsinn anheim zu fallen, weil Carlottas Cousine, Violetta, zu Besuch ist?
Es ist bereits der 17. Fall von Mamma Carlotta und entsprechend viel hat sich bei ihr und in ihrem privaten Umfeld getan. Für mich war es das erste Buch, das ich aus der Reihe gelesen habe und ich würde empfehlen, beim ersten Band zu starten, um von vornherein bei den persönlichen Beziehungen im Bilde zu sein. So brauchte es einen Moment, bis ich mich orientiert hatte. Ebenfalls dringend zu empfehlen ist die ausreichende Anwesenheit von leckeren Getränken und Speisen während der Lektüre, denn Essen spielt im Leben dieser italienischen Mamma eine grosse Rolle und entsprechend lecker geht es zu. Bei den Figuren hatte ich schnell den Eindruck, sie schon lange zu kennen. Pauly schreibt sehr vertraut von ihnen und ihren Eigenarten. Sie nutzt eine allwissende Erzählfigur und wechselt rege die Perspektive zwischen Carlotta und ihrem Schwiegersohn, dem Kommissar Erik Wolf. Dabei beschreibt sie jedoch mehr als dass sie die Figuren agieren lässt und so kommt es dann zu unstimmigen Eindrücken: So heisst es beispielsweise, Carlotta erzähle viel. Jedoch sagt sie in der Geschichte nur wenig direkt und ich hatte eher den Eindruck, sie sei zurückhaltend. Sie selbst war mir lange Zeit sympathisch, die Beschreibung von ihr aber leider nicht. Schlimmer sah es bei ihrer Cousine, Violetta, aus. Ich hatte bei beiden den Eindruck, hier seien sehr viele Klischees italienischer Frauen/Grossmütter in die Erzählung eingeflossen, und das fand ich schade.
Ebenfalls wenig Freude hatte ich an den unzähligen Wiederholungen, die meines Erachtens die Handlung unnötig in die Länge zogen.
Die Handlung selbst kommt lange nicht richtig in Gang, weil den Ermittlern neue Spuren in diesem alten Fall fehlen. Trotzdem ergab sich schon ab der Hälfte eine Ahnung zur Identität der Tatperson, die sich dann auch bewahrheitete. Davon konnten auch die konstruierten Wendungen am Ende nur schlecht ablenken. Gleichzeitig hatte ich an dem Wissensvorsprung wenig Freude, weil ich dachte, das müsse doch auch Erik Wolf, seinem Team und der cleveren Grossmutter klar sein. Aber das werden andere Leser*innen womöglich anders sehen. Spannung ergibt sich demnach auch nur mässig, was vor allem auch daran liegt, dass die Dinge, die Mamma Carlotta die Schweissperlen auf die Stirn treiben, nur wenig mit dem Fall zu tun haben - und mich persönlich nicht derart stressen würden.
Fazit: Eine leichte (Urlaubs-)Lektüre über eine hobbymässig ermittelnde italienische Grossmutter auf Sylt und ihre Familie. Mit Schwächen, Charme, aber in meinem Fall nicht mit Wiederholungscharakter.
Ach so und das Cover sieht zwar sommerlich aus, die Handlung spielt aber im November.