Ukraine, 1929: Behütet wächst Katja in der Nähe von Kiew auf. Obwohl es ihrer Familie manchmal an Geld mangelt, fehlt es ihnen nie an Essen oder Liebe. Doch dann weiten sich Stalins Pläne in die Ukraine aus und sie werden gezwungen, ihre ganzen Besitztümer dem Staat zu übergeben. In dieser schwierigen Zeit, verliebt sich Katja in den Nachbarsjungen … Viele Jahre später entdeckt Cassie das Tagebuch ihrer Grossmutter und kurz darauf beginnt sie mehr über die bisher verschwiegene Vergangenheit ihrer Grossmutter zu erfahren.
In diesem Buch verlaufen zwei Handlungsstränge parallel zueinander: Einmal der von Katja, die 1929 in der Ukraine aufwächst und einmal der von Cassie, die im Jahr 2004 in Illinois das Tagebuch ihrer Grossmutter findet. Diese Erzählart hat wahnsinnig viel Spannung erzeugt; ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, weil man zusammen mit Katja Cassie immer einen Sprung voraus war, dann aber nicht mehr warten konnte, bis Cassie alles erfuhr und wie ihre Reaktion darauf wäre. Dazu trägt auch der schöne und flüssige Schreibstil bei.
Katja ist eine warme und sympathische Protagonistin, die man sofort ins Herz schliesst. Es ist erschreckend zuzusehen, wie dieser liebevolle Charakter immer mehr verliert. Jedes Mal, wenn man denkt, es könne nicht mehr schlimmer werden, wird es nochmals schlimmer. Den geschichtlichen Aspekt, den dieses Buch abdeckt, hat mich erschüttert und mir auf schreckliche Art und Weise die Augen geöffnet.
Holodomor war mir schon zuvor ein bekannter Begriff, aber ich hatte mich nie genauer mit den Geschehnissen in der Ukraine auseinandergesetzt. Im Holodomor hat Stalin gezielt eine Hungerskrise in der Ukraine ausbrechen lassen, wobei drei bis sieben Millionen Menschen daran starben. Obwohl viele den Holodomor als Völkermord bezeichnen, wehrt sich Russland bis heute gegen diese Einordnung.
Die Autorin hat die psychologischen Folgen einer solchen Hungerskrise einfühlsam in mein Bewusstsein gerückt. Ich litt mit Katja und ihrer ganzen Familie mit, und fragte mich, wie so grausame Taten jemals von jemandem verübt werden konnten. Ich bin dankbar, über diesen vergessenen Teil der ukrainischen Geschichte gelesen und gelernt zu haben.
Im Kontrast zu der ernsten Geschichte in der Vergangenheit, steht Cassies Geschichte, die in meiner Hinsicht zweifelhaft wirkt. Zwar mochte ich sie, ihre Mutter und ihre Tochter, aber die Konstellation und die daraus folgenden Szenen waren unrealistisch. Als hätte die Autorin diese Figuren nur in die Geschichte hineingebracht, um sie etwas mehr aufzupeppen und einen plausiblen Grund zu haben, Katjas Geschichte zu erzählen.
Ich habe zu Beginn gesagt, die beiden Handlungsstränge erzeugten Spannung, was nicht ausschliesst, dass Cassies Geschichte gewollt wirkt. Die Dialoge innerhalb der Familie und mit dem Nachbar, für den sie mit der Zeit Gefühle entwickelt, kommen nicht so natürlich rüber wie die Gespräche in Katjas Zeit. Zudem fand ich die Herangehensweise an die Vergangenheit ihrer Grossmutter sehr speziell … Die ganze Ausarbeitung von Cassies Geschichte macht für mich persönlich keinen Sinn.
Ein wenig tiefergehende Recherche in all den Jahren, in denen sie unbedingt mehr über ihre Grossmutter erfahren wollte, hätten es auch getan. Stattdessen fügt sich ihr Schicksal so, dass sie von ihrer Mutter gezwungen wird, zu ihrer Grossmutter zu ziehen, dann taucht wie von Zauberhand das Tagebuch auf, das alle Geheimnisse beinhaltet?
Von den unrealistischen Aspekten abgesehen, ist es ein herzzerreissendes, augenöffnendes und schönes Buch über vergessene Geschichte der Ukraine.
Fazit
Man begleitet Katja in der Ukraine und Jahrzehnte später Cassie in Illinois, wobei die beiden Handlungsstränge parallel zueinander verlaufen. Durch Katjas Geschichte erfährt man über den Holodomor, der ein wichtiges und bewegendes Kapitel der ukrainischen Geschichte ist. Cassies Geschichte hingegen konnte mich nicht ganz überzeugen, da ihre Handlungen erzwungen und viele Szenen unrealistisch wirken. Nichtsdestotrotz hat mich die Geschichte gepackt und ich bin dankbar, mehr Einblick in die Geschichte der Ukraine bekommen zu haben.