Eigentlich wollte Anne mit ihrem Mann Peter gemeinsam im alten Wohnmobil nach Skandinavien aufbrechen und sich 8 Monate treiben lassen. Eigentlich, denn kurz vor der Abreise stirbt Peter überraschend. Anne ist wie gelähmt und versucht nur noch zu funktionieren, für ihre Tochter Alina und um die Beerdigung vorzubereiten. Schnell wird klar, dass sie von Peters Leben vor ihrem Treffen vor 30 Jahren gar nichts weiß. Leben noch Verwandte von ihm, Freunde? Nur ein paar vergilbte Fotos findet sie in einem alten Karton. Um mit der Trauer fertig zu werden, startet sie alleine mit Willy – dem Wohnmobil – auf die Tour, die sie eigentlich mit Peter gemeinsam machen wollte. In Rügen bleibt sie hängen und beginnt, sich auf Spurensuche zu begeben. Anne beginnt Fragen zu stellen, Stück für Stück nach Antworten zu suchen. Die eigentliche Tour wird so zu einer Reise durch Peters Vergangenheit, seinem Leben, bevor er Anne am Tag des Mauerfalls in Berlin begegnete und nach dem sie ihn nie hat fragen wollen. So lernt Anne auf dieser Reise nicht nur ihren Mann neu kennen, sondern auch sich selbst.
„Wir sehen uns zu Hause“ war meine erste Begegnung mit den Romanen von Christiane Wünsche und ich freue mich, eine neue Autorin für mich entdeckt zu haben. Durch die sehr einfühlsame Sprache der Autorin war es leicht, in die Geschichte einzutauchen. Sie versteht es, die Charaktere so zu zeichnen, dass man sie direkt vor dem inneren Auge zu sehen glaubt. Und so ist ihr eine empfindsame Geschichte gelungen, in der es nicht nur um Trauer und Verlust geht, sondern auch um Liebe, Freundschaft, Hoffnung und die Chance, bei sich selbst anzukommen.
Christiane Wünsche erzählt die Geschichte nicht nur aus einer Perspektive, sondern wechselt zwischen den Blickwinkeln von Anne, ihrer Tochter Alina, Ronny (dessen Rolle sich über den Roman hin klärt), der Mutter von Peter und Peter selbst. Durch diese geschickt verwobenen Erzählstränge bekommt die Geschichte noch eine weitere Dynamik und machen das Buch auch durch die unterschiedlichen Schauplätze sehr lebendig.
Die Charaktere waren bis auf den der Protagonistin sehr authentisch. Anne ist Lehrerin, hat einen Mann aus der ehemaligen DDR geheiratet und trotzdem nie versucht, sich mit diesem Teil der deutschen Geschichte zu befassen. Das wirkt naiv und für mich nach einem leichten Desinteresse an den Hintergründen, die ihr Glück trüben könnten. Dagegen waren die Menschen, denen sie auf der Reise begegnet, hilfsbereit, empathisch und konnten ihr helfen, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Vielleicht wäre das im wahren Leben nicht ganz so glatt verlaufen, doch für den Roman ist es stimmig und hat die Geschichte gut vorangetrieben.
Insgesamt war es ein kurzweiliger Roadtrip, der Lust auf eine Reise nach Rügen und die östlichen Landstriche Deutschlands gemacht hat und auch für ein Wochenende auf Balkonien eine wunderbare Auszeit schenkt. Darüber hinaus kreist der Roman für mich (vielleicht etwas philosophisch, doch beim Lesen mir sehr präsent) immer wieder um die Frage: wie viel wissen wir von den Menschen, die wir lieben? Wie genau lassen sie uns die Narben auf ihrer Seele entdecken? Und genauso, was offenbaren wir selbst den Menschen, die uns am nächsten stehen?