Mit ihrem ursprünglich als Theater konzipierten Roman “Geiseln” hat Nina Bouraoui den Prix Anaïs 2020 gewonnen.
Sylvie Meyer, die ihr Leben ganz der Arbeit zu unterwerfen scheint, wird von ihrem Chef angehalten, ihre Mitarbeiterinnen in Kategorien der Arbeitswilligkeit einzuteilen, sprich, für ihn zu spionieren.
Gewohnt, sich als Frau zu fügen, gehorcht sie auch dieser Anweisung.
Als dann ihr Mann sie verlässt, sie ausser ihren beiden Söhnen keinen Halt im Leben mehr findet, wird die Belastung unerträglich und sie rastet aus. Sie wird von der allseits Gedungenen selber zur Unterwerferin und “commet une connerie” (begeht eine Dummheit).
Trotz aller Selbstvorwürfe findet sie durch diese Tat zu sich selbst.
Beschreibt sich die Protagonistin einleitend als “jede Gewalt verabscheuend”, stürzt sie bald in eineN tiefen Schacht der Selbsterkenntnis. Und genau da besticht der Roman: Durch seinen eindrücklichen Stil (zumindest frz., die Übersetzung kenne ich nicht), die Selbstreflektion der Hauptperson, die in immer tieferen Kreisen der Erkenntnis zur Einsicht gerät, dass nur dieser eine, mutige Ausbruch ihr hilft, sich aus den patriarchalischen Unterdrückungsmustern zu befreien.
Noch vor der Debatte von #MeToo hat sich die Autorin mit der Unterdrückung der Frau (“wir Frauen leben in der allgegenwärtigen Angst einer Vergewaltigung”) beschäftigt und eindrücklich geschildert, wie Vertrauen missbraucht, Gefühle verletzt und bleibende seelische Schäden verursacht werden können.